Börsen-Zeitung: Marchionnes Meisterstück, Kommentar zur vollständigen Übernahme von Chrysler durch Fiat, von Sebastian Schmid.

Fiat-Chef Sergio Marchionne ist bekannt für
markige Worte. Noch im Spätsommer tönte er, wenn die US-Gewerkschaft
United Auto Workers 5 Mrd. Dollar für ihren Chrysler-Anteil wolle,
solle sie doch besser ein Lotterielos kaufen. Nun hat der in Kanada
geborene Italiener Taten folgen lassen und die US-Tochter für 4,35
Mrd. Dollar übernommen. Sofort fällig sind sogar nur 3,65 Mrd.
Dollar. 700 Mill. Dollar zahlt Chrysler in Raten über die nächsten
vier Jahre. Zudem beträgt der Eigenanteil von Fiat nur 1,75 Mrd.
Dollar, da die US-Tochter 1,9 Mrd. über eine Sonderdividende
beisteuert.

Fiat sichert sich den Rest am US-Autobauer, der in den vergangenen
Jahren der Garant für schwarze Zahlen war, also zum Spartarif.
Marchionne nannte sein Meisterstück der Verhandlungsführung einen
„entscheidenden Moment, der in die Geschichtsbücher eingehen wird“.
Seit seinem Amtsantritt bei Fiat im Jahr 2004 hat sich der Manager
vorgenommen, einen globalen Autobauer zu erschaffen, der Volkswagen,
General Motors und Toyota herausfordern kann. Mit der
Komplettübernahme des drittgrößten US-Herstellers ist Marchionne dem
Ziel sicher den bisher größten Schritt näher gekommen.

Allerdings sollte das wiederholte Verhandlungsgeschick des
Fiat-Chefs – schon der Chrysler-Einstieg war gewieft – nicht darüber
hinwegtäuschen, dass die Italiener von den hochprofitablen
Marktführern aus den USA, Japan und Deutschland noch weit mehr trennt
als ein paar Millionen Autos im jährlichen Absatzvolumen. Während GM,
Toyota und Volkswagen Milliardengewinne einfahren, schreibt Fiat nur
dank Chrysler schwarze Zahlen. Die Kernmarke leidet unter der starken
Abhängigkeit vom siechenden europäischen Markt.

Nach Peugeot-Citroën ist Fiat der am höchsten verschuldete
Autokonzern Europas. Chrysler bringt nicht nur hohe Gewinne, sondern
auch eine um mehrere Milliarden Dollar unterfinanzierte Pensionskasse
in den kombinierten Konzern mit ein. In Fernost, wo Volkswagen und
General Motors enorme Erfolge feiern, ist Fiat deutlich
unterrepräsentiert. In Südamerika sind die Italiener zwar
traditionell stark. Zuletzt ging der Gewinn in der Region allerdings
zurück. Im Kernmarkt Europa kämpft Fiat weiterhin mit
Überkapazitäten. Mit der Übernahme von Chrysler nimmt zwar der
finanzielle Druck auf den italienischen Autobauer ab. Strukturelle
Probleme bleiben aber. Diese zu lösen wäre wirklich ein Meisterstück
Marchionnes, das reif ist für die Geschichtsbücher.

(Börsen-Zeitung, 3.1.2014)

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