Börsen-Zeitung: Mehr Chance als Gefahr, Kommentar von Ulli Gericke zu den Atomausstiegsbeschlüssen der Bundesregierung

Die Worte waren ähnlich, die Superlative fast
identisch. Auch gestern feierte die Regierung, einen „Meilenstein“
erreicht zu haben, wie schon im vergangenen Herbst, als sie den
Ausstieg aus dem Atomausstieg verkündete. Dessen Halbwertszeit bemaß
sich in wenigen Monaten. Nach dem GAU in Fukushima ist Schwarz-Gelb
jetzt in etwa da angelangt, wo Rot-Grün aufgehört hatte – wobei der
alte Atomkompromiss noch Laufzeiten von AKW über das inzwischen fest
vereinbarte Enddatum 2022 hinaus erlaubt hätte.

Wie schon der Kompromiss mit der Industrie vor einem Jahrzehnt
zeigte, halten auch die Versorger einen Atomausstieg bis Anfang der
2020er-Jahre für machbar – dies zur Erinnerung angesichts der vielen
Kassandras, die momentan wieder Hochkonjunktur haben und vor
großflächigen Blackouts warnen. Mit ersten Erfolgen, wie die
EEG-Novelle zeigt, das Fördergesetz für erneuerbare Energien. Hier
haben sich Windanlagenbauer erfolgreich den Plänen widersetzt, die
von allen Verbrauchern zu zahlende Vergütung für Windmühlen an Land
zu kürzen, obwohl deren Anhebung vor einigen Jahren nur durch die
hohen Stahlpreise gerechtfertigt war. Davon spricht keiner mehr,
dennoch wird der Zuschlag weiter gezahlt. Kein Wunder, dass
Verkehrsminister Peter Ramsauer unkt, kein Bauer werde künftig sein
Land noch zu früheren Spottpreisen für Stromtrassen zur Verfügung
stellen, wenn er sieht, wie üppig die Energiewende andernorts-etwa
bei der Photovoltaik oder der Biomasse – subventioniert wird.

Es geht also – wie immer – um viel Geld. Auch bei den
Kernkraftwerksbetreibern, die ihren abgeschriebenen und damit
hochlukrativen AKW hinterhertrauern. Zudem geht es um die Frage, ob
die Bevölkerung Elektrizitätsleitungen akzeptiert, die nötig werden,
um Offshore-Strom in die südlichen Industriezentren zu bringen. Und
schließlich bleibt offen, ob der technische Fortschritt schnell genug
Speichermöglichkeiten erfindet für den volatilen Wind- und
Solarstrom, der zur Verfügung steht, wann er will, aber nicht, wann
immer er gebraucht wird.

Stattdessen sollte man aber jetzt erwarten können, dass sich beim
Thema Energiewende der Erfinder- und Bastlertrieb regt, der hiesigen
Unternehmen so häufig nachgesagt wird. Damit könnte das durchaus
ehrgeizige Vorhaben, ein Drittel des Strombedarfs im Jahr 2020 aus
erneuerbaren Energien zu decken, klappen. Und gleichzeitig entstünden
arbeitsplatzschaffende Exportprodukte, die für den globalen
klimafreundlichen Energieumbau benötigt werden.

(Börsen-Zeitung, 7.6.2011)

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