Börsen-Zeitung: Merkels Nagelprobe, Kommentar zum Euro-Vertrag von Angela Wefers

Niemand konnte erwarten, dass es ein Spaziergang
wird, auch die Bundeskanzlerin tut dies nicht. So fetzten sich die
Abgeordneten der CDU/CSU-Fraktion heftig, als Angela Merkel und
Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble sie in einer Sondersitzung
über die Beschlüsse des EU-Rates vom 21. Juli informierten. Bis zum
23. September sollen Bundestag und Bundesrat das zweite
Griechenland-Hilfspaket und die Ausweitung der Befugnisse des
Euro-Rettungsschirms EFSF billigen. Eine beachtliche Zahl von
Abgeordneten aus dem Regierungslager hat deutlich gemacht, dass sie
den Weg in eine Transferunion nicht mitgehen will. Eine eigene
Mehrheit ist Merkel keineswegs sicher. Erhält sie die Zustimmung
nicht, wäre dies ein politisches Fiasko.

Genauso wenig ist aber sicher, dass die Regierungskoalition der
Kanzlerin die Rückendeckung verweigert. Wenn Abgeordnete heiß
diskutieren und streiten, funktioniert die Demokratie. Wer will schon
in einem Land leben, in dem das Parlament blind der Regierung folgt?
Noch liegt das deutsche Gesetzeswerk, über das Bundestag und
Bundesrat abstimmen sollen, nicht einmal in Entwurf vor – kann es
auch nicht. Zunächst müssen sich die Regierungen der Eurozone auf den
Vertrag verständigen, in dem die Beschlüsse der EU-Staats- und
Regierungschefs völkerrechtlich umgesetzt werden. Dabei müssen und
werden die Regierungen die Überzeugung in ihren Parlamenten im Auge
haben, damit der Vertrag national nicht scheitert. So ist auch zu
verstehen, dass die übrigen Euro-Länder Finnland eine spezielle und
weitreichende Absicherung seines Kreditanteils mit Athen nicht haben
durchgehen lassen.

Auch die Heftigkeit der Debatte ist durchaus berechtigt, denn
schließlich geht es nicht um Kleinigkeiten. Es geht um die
ökonomische Frage, nach welchen Prinzipien wir in Europa unser
Wirtschaftssystem organisieren. Die deutsche Stabilitätskultur wird
nicht gleich verraten und verkauft, wenn Hilfen an klamme Euro-Länder
nur unter Bedingungen gehen. Aber auf das Kleingedruckte kommt es an:
Wird unsolide Finanzpolitik wirksam sanktioniert? Ist der
Sanktionsmechanismus vor tagespolitischen Eingriffen geschützt? Wird
die Schuldenbremse in der Eurozone verankert? Um die Antworten wird
im Vertragswerk – europäisch und national – noch gerungen. Erst dann
müssen die Abgeordneten entscheiden. Merkel wird um deren Zustimmung
kämpfen und hat schon einen kleinen Sieg errungen. Der Bundestag hat
sich für einen engen Zeitplan nach ihren Vorstellungen entschieden.

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