Börsen-Zeitung: Nur eine Atempause, Kommentar zur Leitzinsanhebung in der Türkei von Christopher Kalbhenn

Operation gelungen, Patient (noch) am Leben. So
könnte man die Leitzinserhöhung der türkischen Nationalbank und die
Marktreaktion zusammenfassen. Die Währungshüter haben es geschafft,
die Märkte mit der Anhebung des einwöchigen Ausleihesatzes zu
überraschen, womit der gewünschte Effekt erreicht wurde: Die Lira
stieg zum Dollar um bis zu 2,6 Prozent. Es war auch eine mutige
Entscheidung, so kurz vor den am 24. Juni anstehenden Wahlen der
aggressiv von Erdogan vorgetragenen Forderung nach geldpolitischer
Lockerung zu widerstehen.

Die Erwartungen an den Effekt der Zinsanhebung sollte man aber
auch nicht allzu hoch hängen. Mit 1,25 Prozentpunkte auf 17,75
Prozent ist sie nicht gerade ein Keulenschlag – nach Meinung der
Commerzbank wäre zur Behebung der Lira-Krise ein Zinssatz von 20
Prozent notwendig -, und die Reaktion der Währung, von deren
anfänglichem Plus letztlich 2,2 Prozent übrig blieben, fällt
angesichts der seit Jahresbeginn anstehenden Einbuße von rund 18
Prozent auch nicht unbedingt beeindruckend aus.

Letztlich bringt der Zinsschritte nur eine Atempause. Die
Nachhaltigkeit seiner Wirkung wird maßgeblich davon abhängen, dass
Erdogan zunächst seine Rhetorik so gestaltet, dass das Vertrauen in
seine Wirtschaftspolitik und insbesondere in die Handlungsfähigkeit
und Unabhängigkeit der Zentralbank nicht noch mehr Schaden nimmt.
Ansonsten droht sich die Kapitalflucht zu verstärken, was die Krise
weiter verschärfen würde. Zum Schwur wird es dann nach den Wahlen
kommen. Sofern siegreich, wird Erdogan, anstatt
Verschwörungstheorien über die Finanzmärkte zu verbreiten, mit Wort
und Tat die richtigen Signale für die Kapitalgeber geben müssen.

Es gibt viel zu tun, wie das jüngste Statement von Moody–s, die
die Türkei auf die Watch List gesetzt hat, deutlich macht. Die
Erosion des Investorenvertrauens werde sich fortsetzen, wenn sie nach
den Wahlen nicht durch glaubwürdige politische Handlungen adressiert
werde – mit der Folge einer deutlich erhöhten Wahrscheinlichkeit
gravierender Zahlungsbilanzprobleme. Die Lira sei in den
zurückliegenden Monaten um 20 Prozent gefallen, das
Leistungsbilanzdefizit auf 6,5 Prozent des BIP gestiegen. Die
negative Stimmung sei eine Herausforderung für ein auf Kapitalimporte
angewiesenes Land, dessen jährlicher externer Finanzierungsbedarf bei
brutto mehr als 200 Mrd. Dollar liege. Die Reserven hätten bereits
ein niedriges Niveau erreicht und deckten einschließlich der
Goldbestände weniger als die Hälfte dieses Betrags ab. Höchste Zeit,
den Schalter umzulegen.

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