Börsen-Zeitung: Rückkehr der Trustbuster / Kommentar zur Marktmacht der US-Digitalkonzerne und der US-Wettbewerbspolitik von Stefan Paravicini

Den Investoren der Internetkonzerne Alphabet,
Facebook und Amazon steht der Schrecken noch ins Gesicht geschrieben.
Zum Wochenauftakt berichteten US-Medien, dass sich die
Kartellwächter des US-Justizministeriums und der ebenfalls in
Wettbewerbsfragen versierten Federal Trade Commission (FTC) über
ihre Zuständigkeiten für die Internetfirmen ausgetauscht und bereits
geeinigt haben. Das reichte aus, den Börsenwert der drei Giganten der
Digitalwirtschaft zeitweise um mehr als 150 Mrd. Dollar zu drücken
und den Technologiewerteindex Nasdaq auf Korrekturmodus zu stellen,
noch bevor der Justizausschuss des US-Repräsentantenhauses nur wenige
Stunden später eine Untersuchung zum Wettbewerb in dem Sektor
ankündigte.

Auf den ersten Blick sieht es tatsächlich so aus, als stünden die
gefürchteten „Trustbuster“, die unter der Führung des damaligen
US-Präsidenten Theodore Roosevelt vor mehr als 100 Jahren mächtige
Konzerne wie Standard Oil zerschlagen haben, nach Jahrzehnten des
kartellrechtlichen Laissez-faire vor einem Comeback in den USA.
Unter Investoren geht jedenfalls die Angst um. Denn im Silicon
Valley schöpfen kreative Geister mit Internet-Geschäftsmodellen – wie
früher die Ölbarone – aus scheinbar nie versiegenden Quellen, die von
Milliarden Nutzern mit persönlichen Daten als „neuem Öl“ gespeist
werden.

Die Sorgen sind berechtigt. Denn wenn es im tief gespaltenen
Washington derzeit ein Thema gibt, auf das man sich auch über die
Parteigrenzen hinweg verständigen kann, dann ist es die Notwendigkeit
für mehr Regulierung der Internetkonzerne. Das verheißt 18 Monate vor
dem nächsten großen Wahltag in den USA wenig Gutes, da die Branche
schon in den vergangenen anderthalb Jahren von allen Seiten
abgewatscht wurde.

Eine Zerschlagung der Konzerne, die unter anderem die
US-Demokratin Elizabeth Warren fordert, wird trotzdem noch auf Jahre
hinaus nur zur Debatte und nicht zur Entscheidung stehen, selbst wenn
sich Warren 2020 unerwartet im Kampf um das Weiße Haus durchsetzen
sollte. Denn seit den glorreichen Zeiten der Trustbuster hat sich im
US-Wettbewerbsrecht nicht mehr viel getan. Es gilt unter anderem die
vor mehr als 40 Jahren eingeführte Doktrin, dass sich der Missbrauch
von Marktmacht in erster Linie an zu hohen Preisen für die
Verbraucher festmachen lässt. Sie ist unter den Bedingungen der
Internetökonomie weitgehend nutzlos. Vor einem Comeback müssen die
US-Kartellwächter ihr Werkzeug für das 21. Jahrhundert aktualisieren.

(Börsen-Zeitung, 05.06.2019)

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