Börsen-Zeitung: Stunde der Optimisten, Marktkommentar von Thorsten Kramer

Es ist die Stunde der Optimisten. Mit dem
Anstieg über das alte Jahreshoch bei 6387 Punkten hat sich der
deutsche Leitaktienindex Dax ganz offenbar Raum geschaffen für eine
unerwartet rasante Kursrally. In der nun abgelaufenen Handelswoche
rückte er schon auf mehr als 6600 Punkte vor, was nun am Markt dazu
führt, dass sich zuversichtlich eingestellte Analysten wieder Gehör
verschaffen können. Von einer anhaltenden Aufwärtsbewegung bis auf
6850, 6900 oder sogar 7000 Punkte zum Jahresende ist bereits die
Rede. Und angesichts der weltweit vorhandenen enormen Liquidität, die
nach Rendite sucht, scheint ein Dax auf diesem Niveau tatsächlich
nicht unvorstellbar zu sein.

Allerdings muss die Frage erlaubt sein, ob die Kursrally
nachhaltig sein kann? Aktuell profitieren die Aktienmärkte, und zwar
nicht nur der deutsche, vom positiven Verlauf der Berichtssaison zum
dritten Quartal. So zeigte zuletzt etwa die US-Großbank Citigroup
unerwartet gute Zahlen, ebenso wie der weltgrößte Chemiekonzern BASF.
Dabei rückt es etwas in den Hintergrund, dass beispielsweise die
Schweizer Großbank Credit Suisse ihre Aktionäre mit einem
Gewinneinbruch schwer enttäuschte und zugleich die Zweifel an den
Aussichten für den Finanzsektor insgesamt vergrößerte. Ohne eine
positive Tendenz der stark gewichteten Finanzaktien wird es Europas
Aktienindizes inklusive Dax jedoch schwerfallen, die Kursrally
fortzuführen.

Konzerne zeigen Skepsis

Hinzu kommt, und dies lehrt nicht zuletzt die Erfahrung der
Berichtssaison zum ersten und zweiten Quartal, dass in nächster Zeit
bereits ein gewisser Gewöhnungseffekt an den Börsen einsetzen wird.
Anleger werden dann kaum noch so euphorisch wie derzeit auf
überraschend erfreuliche Geschäftszahlen reagieren. Sie dürften sich
stattdessen vermehrt darauf fokussieren, wie sich die Firmengewinne
im neuen Geschäftsjahr entwickeln werden – und viele Marktanalysten
stufen die Schätzungen nach wie vor als deutlich zu hoch ein. Der
zurückhaltende Ausblick der BASF für 2011 gibt ihnen bereits recht,
und mit Volkswagen stimmte am Freitag ein weiterer deutscher
Weltkonzern seine Anteilseigner bereits für das Schlussquartal auf
eine nachlassende Dynamik ein.

Als zweiter Treiber der Notierungen gilt zurzeit die Aussicht auf
weitere Lockerungsmaßnahmen der Federal Reserve. Nach der
Veröffentlichung des Konjunkturberichts Beige Book steht für die
meisten Marktteilnehmer fest, dass die Notenbank Anfang November ein
zweites milliardenschweres Aufkaufprogramm für Staatsanleihen
ankündigen wird. Und dies preist der Aktienmarkt nun ein. Die
Prognosen für das Volumen liegen zumeist bei 300 Mrd. bis 500 Mrd.
Dollar. Bereits ein Wert am unteren Ende dieser Spanne dürfte
allerdings dafür sorgen, dass an den Börsen Ernüchterung eintritt.
Ein unerwartet geringes Volumen birgt indes die Gefahr, dass die
Aktienkurse zu einer kräftigen Korrektur ansetzen.

US-Wirtschaft braucht Zeit

Diese Korrektur ist auch dann nicht ausgeschlossen, wenn die
Beschlüsse der Währungshüter den Prognosen entsprechen. Schließlich
benötigt die von der Finanz- und Wirtschaftskrise durchgerüttelte
US-Wirtschaft schlicht und einfach noch mehr Zeit, um die
Verschuldungsexzesse vollständig zu verarbeiten. Dies belegen nicht
zuletzt die anhaltend niedrigen Häuserpreise, die hohe Sparquote
sowie die angespannte Lage am Arbeitsmarkt: All dies spricht nicht
dafür, dass sich der Konsum als tragende Säule der US-Konjunktur
schon bald spürbar erholen kann.

Weil auch die Schuldenkrise in Europa und die bislang mäßigen
Erfolge der Politik, die Mitglieder der Eurozone künftig zu größerer
Etat-Disziplin zu zwingen, ebenfalls gegen einen fortgesetzten
Höhenflug an den Börsen sprechen, bleibt den Optimisten auf mittlere
Frist also nur die Hoffnung, dass die hohe Liquidität die Kurse
weiter antreibt. Mangels lukrativer Alternativen ist dies durchaus
möglich. Dies würde dann institutionelle Anleger verstärkt dazu
zwingen, im Sinne eines „Window dressing“ ihr Engagement an den
Börsen in den letzten Wochen des Jahres weiter zu erhöhen. Das würde
dann zu einer Jahresendrally führen – mit dem Risiko, dass zum
Jahresbeginn einsetzende Gewinnmitnahmen eine Korrekturbewegung
lostreten.

Pressekontakt:
Börsen-Zeitung
Redaktion

Telefon: 069–2732-0
www.boersen-zeitung.de