Börsen-Zeitung: Suche nach Wachstum, Kommentar zur Credit Suisse von Daniel Zulauf

Credit-Suisse-Chef Tidjane Thiam hat schnell
geliefert. Der Verwaltungsrat erhält die „Wachstumsstrategie“, die er
vor acht Monaten mit der Verpflichtung des neuen CEO bei diesem in
Auftrag gegeben hatte. Die neue Strategie war zwingend nötig, schon
allein deshalb, weil längst klar war, dass die notorisch
kapitalschwache Credit Suisse ihre Aktionäre um frisches Geld angehen
muss. Welcher Investor würde der Großbank schon zusätzliches Kapital
geben, wenn er nach sieben mageren Jahren nicht mindestens die
Hoffnung auf eine ersprießlichere Zukunft hätte?

Böse Zungen könnten deshalb behaupten, die Wachstumsstrategie sei
in Wahrheit ein verkappter Versuch der Besitzstandswahrung. Eine
solche Sicht wäre auch nicht à priori abwegig, denn die am Dienstag
vom Verwaltungsrat beschlossene Kapitalerhöhung scheint zunächst in
der Tat vor allem dem einen Zweck zu dienen, die Credit Suisse in
puncto Kapitalkraft wieder auf Augenhöhe mit der direkten Konkurrenz
zu bringen. Doch immerhin verspricht Thiam noch einiges mehr zu
unternehmen, als nur die Kapitalbasis des Konzerns zu stärken. Mit
der Regionalisierung und Dezentralisierung der Organisation setzt er
klare Akzente, wo das Wachstum zu forcieren sein wird, und den
Managern, denen er diese Aufgaben übertragen will, setzt er
Leistungsanreize, wie dies in der bisherigen Form der Credit Suisse
kaum möglich war.

Wenn die Strategie tatsächlich liefert, was sie verspricht, dann
müsste die Credit Suisse in drei Jahren wieder einen Vorsteuergewinn
von gegen 8 Mrd. sfr ausweisen können. Gemessen an den 3 Mrd. bis 3,5
Mrd. sfr, welche die Bank in den vergangen zwei Jahren zeigen konnte,
wäre dies in der Tat ein großer Fortschritt. Doch kann man deshalb
schon von einer Wachstumsstrategie sprechen? Wohl kaum. Wenn alles
gut läuft, bewegt sich der Gewinn der Credit Suisse 2018 wieder etwa
dort, wo er schon mehr als zehn Jahre vorher gestanden hatte.

Was Wachstum bedeutet, hängt vom Standpunkt des Betrachters ab.
Die Finanzindustrie hat sich im Zug der globalen Finanz- und
Schuldenkrise in vielerlei Hinsicht grundlegend gewandelt. Vergleiche
mit der Vorkrisenzeit sind nur noch bedingt möglich. Die verschärfte
Regulierung und eine in vielerlei Hinsicht grundlegend veränderte
Konkurrenzsituation zwingen die Finanzkonzerne rund um den Globus,
ihre Geschäftsmodelle neu auszurichten. Dabei schwingt sowohl die
Hoffnung auf Wachstum als auch die Sorge um den Besitzstand mit.

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