Börsen-Zeitung: Überraschungspaket, Kommentar zur Schuldenkrise von Bernd Wittkowski

Ein Paket bewegt die Märkte von Frankfurt bis
New York und schiebt, sieht man mal von der Dexia ab, nicht zuletzt
die Bankaktien an. Schon verweisen erste Volkswirte die seit Wochen
hoch im Kurs stehende Rezessionsgefahr ins Reich der Legenden,
Investmentbanker erhöhen ihre Wachstumsprognosen zumindest mal für
die USA. Was ist das für ein zauberhaftes Paket, das imstande
scheint, solch einen Paradigmenwechsel zu bewirken? Ein „Gesamtpaket“
ist es, von dem noch keiner weiß, was drin sein wird, wenn es denn
mal geschnürt ist. Ein Überraschungspaket also. Nur so viel haben
Angela Merkel und Nicolas Sarkozy am Sonntag verraten: Der Inhalt
soll umfassend genug sein, um die Euro-Währungsunion zu stabilisieren
und die Banken zu stützen. Und noch im Oktober soll das Paket
geöffnet werden.

Da dürfen wir aber echt gespannt sein, wie Deutschland und
Frankreich und mit ihnen die ganze Eurozone bzw. die EU in knapp zwei
Wochen – wohl bis zum verschobenen Gipfel – eine Lösung ausklamüsern
wollen, an der die Politik und die geballte Kompetenz der
Finanzwirtschaft sich seit zwei Jahren vergeblich versucht haben. Es
waren zwei Jahre pathologischen Lernens. Jetzt ist offenbar die
Schwelle erreicht, von der an der Schmerz unerträglich zu werden
beginnt.

Die Anzeichen verdichten sich ja tatsächlich, dass Paris, Berlin,
Brüssel & Co. allmählich bereit und entschlossen sind, bisher
Undenkbares zu denken und selbst auferlegte Tabus zu brechen. Man
stimmt die Betroffenen und die Öffentlichkeit erkennbar darauf ein:
Vermehrt werden Gerüchte über eine bevorstehende „radikale“
Umschuldung Griechenlands gestreut, sogar hochoffiziell ist von einer
zwangsweisen Rekapitalisierung systemrelevanter Banken in der EU die
Rede. Weit darunter werden Merkel und Sarkozy es auch nicht machen
können, wenn ihr in Aussicht gestellter Befreiungsschlag zur Lösung
der Schuldenkrise nicht zur ultimativen Lachnummer werden soll.

Die Euphorie an den Märkten könnte derweil ein wenig verfrüht und
übertrieben sein. Das Gesamtpaket wird nämlich, wenn nicht alles
täuscht, ein paar böse Überraschungen enthalten: hoher
Forderungsverzicht, drastisch verschärfte Bankenregulierung,
mindestens teilweise Verstaatlichung weiterer Institute, damit
verbunden faktische Teilenteignung heutiger Aktionäre und andere
Folterinstrumente. Die Steuerzahler hingegen werden kaum noch
überrascht sein. Sie sind längst damit vertraut, dass am Ende sie für
sämtliche Rettungsmaßnahmen, ob für Staaten oder Banken, zur Kasse
gebeten werden.

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