Börsen-Zeitung: Verbrannte Erde, Kommentar zur EZB von Mark Schrörs

Geschichte wiederholt sich doch – und im Fall
des vorzeitigen Abgangs von Sabine Lautenschläger aus dem
EZB-Direktorium sogar in doppelter Hinsicht: Anfang 2014 war die
Deutsche quasi über Nacht in die EZB-Chefetage aufgerückt, nachdem
ihr Vorgänger Jörg Asmussen aus persönlichen Gründen Hals über Kopf
hingeschmissen hatte – und nun wählt sie einen ähnlich
spontan-spektakulären Abgang. Und genauso wie der Amtsantritt von
EZB-Chef Mario Draghi Ende 2011 zusammenfiel mit dem Rücktritt von
Jürgen Stark aus Protest gegen die EZB-Krisenpolitik, so wird Draghis
Abschied zum 31. Oktober nun begleitet vom Lautenschläger-Abgang. Ein
Hammer, wie es auch in Teilen der EZB heißt.

Art und Zeitpunkt der Mitteilung lassen wenig Zweifel daran, dass
die jüngste Entscheidung für eine neuerliche Lockerung der ohnehin
sehr expansiven Geldpolitik eine und wohl auch die zentrale Rolle
gespielt hat. Mit der Neuauflage der Nettoanleihekäufe (Quantitative
Easing, QE) und dem neuen Zinsausblick (Forward Guidance) haben
Draghi und seine Mitstreiter die ultralockere Geldpolitik für Jahre
zementiert. Damit sind sie über das Ziel hinausgeschossen. Für
Lautenschläger ist damit das Fass wohl endgültig zum Überlaufen
gebracht worden.

Es ist aber sicher nicht nur die Entscheidung selbst, sondern auch
die Art der Entscheidungsfindung. Draghi & Co. haben ihr Paket gegen
beispiellosen Widerstand im EZB-Rat durchgepaukt und dabei selbst
langjährige Unterstützer gegen sich aufgebracht. Draghi mag geglaubt
haben, Fakten schaffen zu müssen, bevor er das Zepter an Christine
Lagarde übergibt, die als konsensorientiert gilt. Tatsächlich aber
hinterlässt er der Französin nun einen tief zerstrittenen EZB-Rat –
oder anders formuliert: verbrannte Erde.

In jedem Fall wird der Abgang Lautenschlägers das Unbehagen in der
deutschen Öffentlichkeit über die EZB verstärken. Man muss sicher
nicht jedes Wehklagen deutscher Banken für bare Münze nehmen. Und
genauso wenig gibt es ein Recht des Sparers auf einen positiven Zins.
Wenn aber das Vertrauen breiter Teile der deutschen Öffentlichkeit in
die EZB schwindet, wird es gefährlich. Ohne diesen Rückhalt ist eine
Zukunft für den Euro und die EZB kaum vorstellbar. Lagarde muss die
Deutschen wieder mit der EZB versöhnen.

Dazu gehört wahrscheinlich auch ein Grundsatzdiskussion darüber,
was eine Zentralbank tun soll – und was nicht. Darüber im Euroraum
wieder – oder erstmals – einen Konsens herzustellen, ist wichtiger
als zu diskutieren, ob das EZB-Ziel nun 1,6 Prozent oder 1,9 Prozent
beträgt. Lagarde steht da vor einer Mammutaufgabe.

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