Emmanuel Macrons flammendes Plädoyer für eine 
Runderneuerung der EU war bereits die dritte große Europa-Rede, die 
in den letzten zwei Wochen gehalten wurde – nach Jean-Claude Junckers
kontrovers diskutierten Ausführungen zur Lage der Union in Straßburg 
und Theresa Mays eher schwachem Brexit-Aufschlag in Florenz.
   Macrons Adressat war vor allem Berlin. Taktisch geschickt hat 
Frankreichs Präsident damit Themen für die anstehenden 
Koalitionsverhandlungen gesetzt, wohl wissend, dass ohne Einheit mit 
der deutschen Seite jede größere EU-Reform zum Scheitern verurteilt 
wäre. Zugleich hat Macron die Rede gehalten, die im deutschen 
Wahlkampf komplett gefehlt hat. Selbst Martin Schulz, gerade erst aus
Brüssel gekommen, hatte die wichtige Diskussion um die EU-Zukunft 
weitgehend ausgeblendet.
   Einige Forderungen aus Macrons buntem Strauß könnten auch in 
Berlin rasch mehrheitsfähig werden. Dies gilt unter anderem für 
Vorschläge aus dem Bereich innere Sicherheit und Verteidigung, wo 
ebenso wie beim Handel eine stärkere Integration rasch einen 
europäischen Mehrwert und mehr Effizienz zeigen würde. Im Zentrum der
deutsch-französischen Auseinandersetzungen werden auch künftig die 
finanzpolitischen Reformideen stehen. Macron hatte seine Rede in der 
Sorbonne ja noch nicht einmal beendet, da wurden schon reflexhaft die
üblichen Warnungen vor einer neuen Umverteilung und einer 
Transferunion verschickt.
   Dabei lohnt sich ein genaueres Hinsehen – zum Beispiel beim 
umstrittenen Eurozonen-Budget: Selbst strikte Gegner einer weiteren 
Vergemeinschaftung räumen mittlerweile ein, dass der Eurozone eine 
Finanzkapazität fehlt, mit der auf externe Schocks in einzelnen 
Staaten reagiert werden kann. Ob deshalb gleich Macrons Modell eines 
größeren, dauerhaft steuerfinanzierten Extrahaushalts nötig ist, mag 
zu Recht bezweifelt werden. Dauerhafte Geldflüsse sind aber auch gar 
nicht nötig, wie etwa ein gut funktionierender „Rainy Day Funds“ in 
den USA zeigt. Es kommt auf die genaue Ausgestaltung an, was ebenso 
für die Aufgabenstellung eines möglichen EU-Finanzministers oder die 
Weiterentwicklung des ESM zu einem Europäischen Währungsfonds gilt.
   Die Ideen liegen auf dem Tisch. Und alle warten nun auf Antworten 
in einer vierten große Europa-Rede. Die muss von Angela Merkel 
kommen. Es bleibt zu hoffen, dass ihr die eigene Partei und die 
designierten Koalitionspartner für einen europäischen Weg zuvor nicht
allzu viele Fesseln anlegen werden.
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