Die Art und Weise, wie die Investoren in diesem 
Jahr disponieren, erinnert stark an eine Achterbahnfahrt. War der 
Risikoregler zum Auftakt auf nahezu null gestellt, wurde er in den 
ersten drei Monaten – getragen von beruhigenden Effekten der 
Dreijahrestender der Europäischen Zentralbank und positiv 
überraschenden Konjunkturdaten – energisch nach oben geschoben. Mit 
Beginn des zweiten Quartals zeigte sich jedoch, dass die zum 
Jahresbeginn vorherrschende Vorsicht richtig war: Die Wahlen in 
Frankreich und Griechenland waren das Fanal für eine erneute 
Verschärfung der Schuldenkrise, und eine enttäuschende konjunkturelle
Datenentwicklung vor allem in China und den USA sorgte für 
zusätzliche Beunruhigung. In der Folge wurde der Risikoregler wieder 
Richtung null bewegt. „Risk on – Risk off“ wird dieses Wechselspiel 
im angelsächsischen Raum genannt.
   Im Ergebnis sind im ersten Halbjahr als sicher geltende Anlagen 
wie die mit „AAA“ bewerteten Staatsanleihen die Gewinner. Rund 4% hat
ein Anleger erwirtschaftet, der zum Jahresbeginn in zehnjährige 
Bundesanleihen investiert hat. Amerikanische Staatsanleihen mit 
Laufzeiten von mehr als zehn Jahren brachten, gemessen an dem 
entsprechenden iBoxx-Index, rund 5,5%. Die Flucht in Sicherheit hat 
die Renditen auf vorher nicht erwartete Rekordtiefen gedrückt. Das 
Nachsehen hatten Risiko-Assets wie Rohstoffe, darunter insbesondere 
Öl und Industriemetalle, oder auch die Anleihen der angeschlagenen 
Staaten der Eurozonen-Peripherie. Die Aktienmärkte konnten sich 
immerhin halten. Der Stoxx Europe 600 hat seit dem Jahresbeginn um 
2,7% zugelegt. Allerdings wird die Risikoscheu in der 
Sektorenentwicklung sichtbar. Schlusslichter sind die zyklischen 
Grundstoffaktien mit einem Indexminus von 7%, während defensive 
Aktien wie Nestlé, Diageo oder LVMH bei den Sicherheit suchenden 
Investoren gefragt waren und die entsprechenden Stoxx-Branchenindizes
bis zu 10% gewannen.
   Zum Halbjahresultimo ist der Risikoregler wieder nach oben 
geschoben worden. Aktien haben stark zugelegt, Bundesanleihen 
deutlich nachgegeben. Safe-Haven-Währungen haben deutliche Einbußen 
erlitten, Risikowährungen wie der australische Dollar kräftig 
zugelegt. Damit reagierten die Märkte auf die Beschlüsse des 
EU-Gipfels. Anders als etwa nach dem Hilfsantrag Spaniens oder 
anderen positiv aufgenommenen Ereignissen im Zusammenhang mit der 
Schuldenkrise verpuffte die Wirkung nicht sogleich. Dass die Wirkung 
sehr nachhaltig sein wird, ist jedoch zweifelhaft.
   Zwar hat der Gipfel mit dem Wachstumsprogramm, den beschlossenen 
Anleihekäufen des Rettungsschirms und der Rekapitalisierung von 
Banken durch den Stabilitätsfonds beeindruckendere Resultate 
produziert als die meisten anderen Spitzentreffen zuvor. Einer Lösung
der Staatsschuldenkrise ist die Eurozone jedoch keinen Deut näher 
gekommen. Die Anlagestrategen von Julius Bär, die von einem 
„Placebo-Gipfel“ sprechen, sind der Auffassung dass der mittlerweile 
19.Euro-Krisengipfel nicht erfolgreicher war als die anderen. Die 
Fronten hätten sich weiter verhärtet, die Ergebnisse seien vage und 
taugten nicht zu einer grundsätzlichen Änderung der Lageeinschätzung 
bezüglich der Schuldenkrise. Der Eindruck, den dieser Gipfel erwecke,
sei, dass sich jeder Nationalstaat, so gut es gehe, aus den neuen und
alten Töpfen der Europäischen Union bediene.
   Auch die Bank of New York Mellon lässt kein gutes Haar an den 
Beschlüssen des Gipfels. Sie gingen die strukturellen Probleme, die 
die Krise ausgelöst hätten, überhaupt nicht an. Es sei klar, dass die
Beschlüsse Deutschland mit extremem Druck abgepresst worden seien. 
Als Folge erscheine Deutschland nun sowohl politisch isoliert als 
auch extrem verärgert. Das sei eine gefährliche Kombination.
   Sorgen bereitet dem Institut aber vor allem die Lage 
Griechenlands. Auf dem Gipfel sei nicht das Geringste unternommen 
worden, um zu verhindern, dass Griechenland im Verlauf des Sommers 
bankrottgeht. Angesichts der Tatsache, dass dem Land Berichten 
zufolge am 20.Juli das Geld ausgehen werde, und der von deutscher 
Seite ausgesprochenen Warnung, dass die Überprüfung der Spar- und 
Reformfortschritte Griechenlands durch die Troika eher Wochen als 
Tage dauern werde, sei dieses Risiko nicht trivial. Angesichts 
solcher Voraussetzungen wird die Begeisterung über den Gipfel recht 
schnell wieder der Ernüchterung weichen, und die Investoren werden 
den Regler wieder ein Stück nach unten schieben.
(Börsen-Zeitung, 30.6.2012)
Pressekontakt:
Börsen-Zeitung
Redaktion
Telefon: 069–2732-0
www.boersen-zeitung.de
Weitere Informationen unter:
http://