Der Blick auf das neue Jahr ist geprägt von den
Enttäuschungen der zurückliegenden zwölf Monate und der Ahnung, dass
– wirtschaftlich gesehen – die besten Jahre hinter uns liegen
könnten. Eine Dekade des weltweiten wirtschaftlichen Aufschwungs
scheint unweigerlich zu Ende zu gehen. Die fehlende Zuversicht
spiegelt sich in den Jahresendständen der internationalen
Aktienmärkte. Doch wir erleben gerade mehr als nur das Auslaufen
eines Konjunkturzyklus und Börsenbooms. „Ende der alten Ordnung“,
„Ende der Gewissheiten“ und „Grenzen des Wachstums“ sind deshalb die
Themenbücher dieser Jahresschlussausgabe überschrieben.
Die Globalisierung, seit dem Fall des Eisernen Vorhangs für
Jahrzehnte treibende Kraft der Weltwirtschaft, scheint an Dynamik zu
verlieren. Und damit an Überzeugungskraft. Die internationale
Arbeitsteilung wird nicht mehr per se als Gewinn für alle Beteiligten
gesehen, sondern als Nullsummenspiel, in dem es Gewinner und
Verlierer gibt. Prominentester Vertreter dieser Sichtweise ist
US-Präsident Donald Trump, der die USA als Verlierer der
Globalisierung ausgemacht hat und mit dem Schlachtruf „America first“
antwortet. In bilateralen Deals wähnt er die USA aufgrund ihrer Größe
und Macht am längeren Hebel. Seither halten internationale Konflikte,
zumal auf dem Gebiet des Handels, die Welt und auch die Finanzmärkte
in Atem.
Selbst in Europa, über Jahrzehnte bewundert ob seines nicht nur
friedlichen, sondern auch wirtschaftlich erfolgreichen Miteinanders,
rückt das Nationale und damit das Trennende in den Vordergrund. Die
Bereitschaft schwindet, verbindliche Regeln des Miteinanders nicht
nur auszuhandeln, sondern sich auch daran zu halten. Nicht nur in
Großbritannien, Italien oder Ungarn, sondern auch in Deutschland.
Auch hierzulande trifft jeder Versuch, gemeinsame Lösungen mit
Partnern zu finden, schnell auf Vorbehalte, oft auch auf
Stimmungsmache – sei es gegen das Projekt eines transatlantischen
Handelsabkommens, die Pläne für eine Verteilung von Flüchtlingen in
Europa oder Hilfsprogramme innerhalb der Währungsunion.
So wenig sich aber Geschichte zurückdrehen lässt, so wenig hilft
nationale Rückbesinnung bei der Lösung globaler Fragen. Eine noch nie
da gewesene Interdependenz, die von der Verbreitung von
Massenvernichtungswaffen über Umweltzerstörungen und
Cyberkriminalität bis zur Nutzung neuer Technologien wie künstlicher
Intelligenz reicht, verlangt globale Antworten. Jahrzehntelang
übernahmen die USA die Koordination dieser Antworten und die
Sprecherrolle in der wachsenden Welt- und Wertegemeinschaft, die sich
zur zwischenstaatlichen Kooperation, zu demokratischen Grundsätzen,
liberalen Wirtschaftsordnungen und der Achtung nationaler und
territorialer Souveränität bekannte.
Von dieser Rolle haben sich die USA unter Präsident Trump
verabschiedet, und sie werden diese Rolle von der Völkergemeinschaft
selbst unter einem anderen Präsidenten nicht mehr zugewiesen
bekommen. Umso wichtiger wäre es, den internationalen Ordnungsrahmen
aus Organisationen, Institutionen und Verträgen zu reformieren und zu
stärken – vom UN-Sicherheitsrat über G20 bis zur WTO. Nur wenn die
alte Ordnung durch eine neue Ordnung ersetzt wird, kann es gelingen,
die Globalisierung für alle gewinnbringend zu gestalten. Denn die
Globalisierung von morgen macht sich nicht an Stahlquoten oder
Strafzöllen auf importierte Autos fest, sondern wird vom globalen
Austausch von Daten bestimmt.
(Börsen-Zeitung, 29.12.2018)
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