In Kairo haben sich auf dem Tahrir-Platz am
Freitag mehr als eine Million Demonstranten versammelt, auch in fast
allen anderen großen Städten des Landes wie Alexandria, Mansoura und
Suez hat es Massendemonstrationen gegeben. Aber nicht nur Ägypten
befindet sich in Aufruhr: Proteste wurden aus dem Sudan, Yemen und
Jordanien gemeldet, und via Internet wird zu Protesten in Algerien,
Libyen und Bahrain zumindest bereits aufgerufen. Damit ist bald
vielleicht auch ein Golfstaat betroffen und mit Libyen ein wichtiger
Ölexporteur.
Auch wenn sich die Reaktionen an den Märkten am Freitag in engen
Grenzen hielten, weil es den Tag über in Kairo deutlich weniger
Gewalt gegeben hat als am Vortag: Grundsätzlich reagieren
Aktienmärkte auf derartige Veränderungen zunächst mit Verlusten,
während der Ölpreis in die Höhe getrieben wird. Am Donnerstag
kletterte der Preis der führenden Nordsee-Ölsorte Brent auf ein
28-Monats-Hoch jenseits von 103 Dollar je Barrel.
Zwar wurden vorübergehende Verluste an der Wall Street und an den
europäischen Märkten teilweise auch mit den Ereignissen in Ägypten in
Zusammenhang gebracht. Deutlich unter den Protesten gelitten haben
aber vor allem die arabischen Aktien. So ist die Marktkapitalisierung
der Börse Kairo am 26. und 27. Januar um 16% bzw. 12 Mrd. Dollar
abgestürzt. Seither ist die Börse geschlossen. Der Tadawul-Index
Saudi-Arabiens hat auf Wochenbasis knapp 3% eingebüßt. Allerdings hat
der steigende Ölpreis die Verluste des Tadawul begrenzt. Abwärts ging
es auch für den KSE-Index aus Kuwait. Er gab im Wochenverlauf um 2,4%
nach. Wesentlich schwächer fielen die Reaktionen in den Vereinigten
Arabischen Emiraten aus: Dubai und Abu Dhabi büßten in den fünf
Handelstagen weniger als 1% ein.
Kaum verschuldet
Gestiegen ist unterdessen die Rendite ägyptischer Staatsanleihen.
Zehnjährige Titel rentieren inzwischen auf einem Rekordniveau von
mehr als 7% – was allerdings nicht als besonders hoch erscheint, wenn
man die Renditen einiger Peripheriestaaten der Europäischen Union zum
Vergleich heranzieht. Einer Studie der französischen Investmentbank
Crédit Agricole CIB zufolge verliert das Land an jedem Tag, an dem es
durch die Proteste paralysiert ist, rund 230 Mill. Euro. Die
Analysten haben ihre Schätzung für das Bruttoinlandsprodukt Ägyptens
im laufenden Jahr von 5,3 auf 3,7% zurückgenommen. Allerdings ist der
ägyptische Staat – im Gegensatz zu Griechenland und Irland – kaum
verschuldet.
Trotz der überwiegend negativen kurzfristigen Reaktionen darf man
davon ausgehen, dass die Veränderungen, die in Ägypten geschehen, für
Anleger mittel- und langfristig höchstwahrscheinlich positiv sind.
Was sich derzeit in Nordafrika und im arabischen Raum beobachten
lässt, läuft darauf hinaus, dass sich die Bevölkerung korrupter
Eliten entledigen will, die sich über Jahrzehnte schamlos bereichert
und dabei in ihren jeweiligen Ländern für Stagnation gesorgt haben.
Die Stagnation lässt sich an der Armut breiter Bevölkerungsschichten
ablesen, aber auch daran, dass etwa die Börse Kairo eine niedrigere
Marktkapitalisierung hat als Daimler.
Großes Potenzial
Analysten sind sich darin einig, dass Länder wie Ägypten ein
großes Potenzial haben. So hat Goldman Sachs Ägypten schon vor
einigen Jahren auf die Liste der „Next Eleven“ gesetzt, damit also zu
den elf Staaten gezählt, die sich durch eine große Bevölkerungszahl,
ein überdurchschnittliches Wachstumspotenzial und die Aussicht auf
einen kräftigen Anstieg des privaten Konsums auszeichnen. Dieses
Potenzial gilt es zu wecken, wobei die politische Entwicklung in der
Türkei als Vorbild dienen könnte. Zahlreiche Studien weisen nach,
dass Demokratie und wirtschaftlicher Erfolg stark positiv korreliert
sind. Allerdings ist auch ein deutlich negativeres Szenario denkbar:
Es ist bei weitem nicht ausgeschlossen, dass islamistische Elemente –
obwohl in der Minderheit – sich der Revolution in Ägypten bemächtigen
und das Land nach iranischem Vorbild umformen. Wie das Beispiel Iran
zeigt, würde dies letztlich nur eines bedeuten: Die bisherige
korrupte und inkompetente Regierung würde durch eine andere ersetzt
und das Land noch mehr in den wirtschaftlichen Niedergang getrieben.
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