Börsen-Zeitung: Zeitenwende / Kommentar zur neuen Unternehmensspitze bei Fiat Chrysler von Gerhard Bläske

Das unerwartet abrupte Ende der Ära Marchionne
hat Fiat Chrysler (FCA) tief geschockt. Sogar ganz Italien scheint in
Trauer. Niemand seit dem Abgang des legendären Avvocato Giovanni
Agnelli hat das noch heute größte Industrieunternehmen des Landes so
geprägt wie der manchmal skurrile, aber auch charismatische und sehr
kompetente Pulloverträger. Es gibt keinen Zweifel: Ohne Marchionne
gäbe es FCA nicht mehr.

Doch auch ohne den unerwartet abrupten Wechsel an der
Konzernspitze stünde FCA vor einer Zeitenwende. Die neue Führung muss
diverse Herausforderungen anpacken. Erstmals lenken dabei nur
Nichtitaliener die Geschicke: Bei FCA ist es ein Brite, bei Ferrari
ein Malteser, und auch bei CNH ist es längst kein Italiener mehr. Das
ist das Zeichen für eine neue Epoche.

Denn FCA ist kein italienisches Unternehmen mehr. Die Marken Fiat,
Alfa Romeo und Maserati tragen nur noch einen Teil zu den Erlösen
bei. Wachstumsträger ist Jeep, das weltweit für den Konzern stehen
soll, während Fiat nur noch ein lokaler Anbieter sein wird.

Die Herausforderungen im Rahmen des Strategieplans, den noch
Marchionne am 1. Juni vorgestellt hat, sind immens. FCA soll zu einem
Premiumanbieter mit den Eckpfeilern Jeep und Maserati/Alfa werden.
Doch es fehlen die Volumina. Der Konzern hat außerdem kein
Hybridmodell auf dem Markt, muss aber alternative Antriebe, autonom
fahrende Autos entwickeln und seine weltweite Präsenz ausbauen. Auch
wenn es Marchionne mit dem Kauf von Chrysler gelungen ist, eine
globale Gruppe aufzubauen: Allein ist der siebtgrößte Autokonzern zu
schwach, um die Herausforderungen zu meistern.

Marchionne selbst hat das erkannt. Doch seine Bemühungen, ein
Bündnis etwa mit GM zu schmieden, sind gescheitert. Hyundai und die
chinesische Geely klopften bisher vergeblich an. Und die Aufgabe ist
durch die jüngsten Handelsauseinandersetzungen noch größer geworden.
Der weltweite Protektionismus könnte zur Folge haben, dass Produktion
aus Italien abwandert oder das Unternehmen gar zerschlagen wird, um
in Teilen an GM oder Ford sowie einen deutschen Hersteller zu gehen.
Möglich erscheint dies jedenfalls.

Die neue Mannschaft muss versuchen, FCA in eine stabilere Zukunft
zu führen. Eine riesige Verantwortung, eine Herkulesaufgabe, von der
viele Experten meinen, sie sei nicht zu schaffen. Aber auch
Marchionne stand einst vor einer schier unlösbaren Aufgabe und
rettete den damaligen Fiat-Konzern vor der Pleite. Nun wird sich
zeigen, ob sich Geschichte wiederholen lässt.

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