Der unzuverlässige Liebhaber hat geliefert. Mark
Carney, den Gouverneur der Bank of England, muss der Spitzname, der
ihm von einem Unterhausabgeordneten wegen seiner Wankelmütigkeit
verliehen wurde, schon sehr geärgert haben. Vermutlich so sehr, dass
er dieses Mal nicht schon wieder einen Rückzieher machen wollte.
Schließlich wurde am Markt die Wahrscheinlichkeit eines Zinsschritts
schon auf 90% beziffert. Und so erhöhte die Bank of England gestern
erneut die Zinsen, obwohl die jüngsten Konjunkturdaten das nicht
unbedingt erforderlich gemacht hätten. Gewiss, die überhöhten
Häuserpreise und die Neigung vieler Briten zum schuldenfinanzierten
Kaufrausch sprechen dafür. Aber das weltweite Wachstum, das der
britischen Wirtschaft über eine schwache Inlandsnachfrage
hinweggeholfen hatte, droht zu verebben.
In den bunkerähnlichen Gemäuern an der Threadneedle Street
unterstellt man der Einfachheit halber nach wie vor, dass der
britische EU-Austritt völlig reibungslos verlaufen wird. Das war
schon vor dem Beinahezusammenbruch der Regierung von Theresa May
gewagt. Nachdem ihr Brexit-Kompromiss von Brüssel brüsk
zurückgewiesen wurde, hat diese Annahme noch weniger Sinn. Würde die
Notenbank auch nur eine Wahrscheinlichkeit von 10% dafür
unterstellen, dass es statt zum Deal zum Bruch mit Resteuropa kommt,
hätte sie auf diese Zinserhöhung verzichten müssen, zumal sich ihre
negativsten Auswirkungen auf das Wachstum gleich nach dem
Austrittstermin zeigen dürften.
Man könnte zwar argumentieren, dass sich die Geldpolitik nicht an
katastrophalen Extremrisiken orientieren könne. Aber warum Risiken
eingehen, die man nicht eingehen muss? Die Inflation geht schneller
zurück als von der Bank of England erwartet, das Lohnwachstum hat
sich verlangsamt und das Wirtschaftswachstum ist so schwach wie seit
Jahren nicht.
Man muss befürchten, dass die Zentralbankökonomen die Torpfosten
verrücken werden, um zu punkten. Mit neuen Methoden zur Ermittlung
von Produktivitätsentwicklung und Wachstum ließe sich die Zinswende
um jeden Preis rechtfertigen. Dann würde man den Kollegen von der
Federal Reserve nicht mehr ganz so weit hinterherhinken. Rudeldenken
und Tunnelblick spielen eine weit größere Rolle, als Notenbanker je
zugeben würden. Am Kapitalmarkt tut man gut daran, ihren Optimismus
in Frage zu stellen. Bei der Bank of England mag man Extremrisiken
außen vor lassen. Sonst kann sich das keiner leisten.
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