Börsen-Zeitung: Zitterpartie, Kommentar zur SPD von Angela Wefers

Ein klares Mandat für die Parteiführung hätte
anders ausgesehen. Mit nur knapper Mehrheit machten die Delegierten
des SPD-Sonderparteitags den Weg zu Koalitionsverhandlungen mit CDU
und CSU frei. Die Mehrheit war so knapp, dass der Augenschein bei der
Abstimmung per Handzeichen nicht reichte und gesondert gezählt werden
musste. Eine Zitterpartie für die SPD-Parteiführung, die nach einer
Regierungsbildung in Berlin mit der Union strebt, allein schon, um
nicht zu kneifen. Die große Koalition ist nach dem Scheitern von
Jamaika die einzige Konstellation, die eine stabile
Regierungsmehrheit verspricht.

So knapp wie das Ergebnis war, steht die SPD-Parteiführung bald
vor der nächsten Zitterpartie, wenn die Mitglieder über das Resultat
der Koalitionsverhandlungen abstimmen. 2013 hatten sich fast vier
Fünftel der Mitglieder beteiligt und mit überwältigender Mehrheit
zugestimmt. Dieses Votum brachte die SPD wieder in die Regierung –
verbunden mit der Hoffnung, viel zu bewegen. Mindestlohn, Rente mit
63, eine Frauenquote in Aufsichtsräten – die SPD hat einige für sie
spektakuläre Themen durchgesetzt. Dass sie sich der Union keineswegs
unterworfen hat, zeigt sich in der Europapolitik. In 40% der
Abstimmungen enthielt sich Deutschland, weil innerhalb der großen
Koalition der Konsens fehlte. Auch in den Sondierungen hat die SPD
nun gepunktet, etwa mit der Rückkehr von Teilzeit in Vollzeit oder
der Grundrente für langjährig Versicherte. Diesmal wird die
Mitgliederbefragung jedoch schwieriger, weil die Partei weniger auf
ihre Erfolge in der Regierung schaut als auf das Unerreichte. So kann
man sich das Leben auch schwermachen. Zudem hat der Parteitag die
Unterhändler für die Koalitionsgespräche mit einer Hypothek belastet.
Bei drei Punkten – der sachgrundlosen Befristung von
Arbeitsverträgen, den Nachteilen für Kassenpatienten und beim Nachzug
von Migrantenfamilien – sollen sie mehr herausholen. Die Krux daran:
zu geben war der Parteitag nicht bereit. Wer aber ein
Verhandlungsergebnis wieder öffnet, muss damit rechnen, dass auch
nicht genehme Punkte auf den Tisch kommen.

Das Misstrauen, das der SPD-Führung beim Parteitag entgegenschlug,
belastet auch den Zauber, der allem (Neu-)Anfang innewohnt. Es wird
in die neue große Koalition hineingetragen. Womöglich votieren die
Mitglieder der SPD klüger als die Delegierten und rüsten ihre Führung
mit einem starken Mandat aus. Sonst stehen sie bald ohne Spitze da.
Das will sicher keiner.

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