Börsen-Zeitung: Zurück zur Normalität, Kommentar von Reinhard Kuls zu den ZEW-Konjunkturerwartungen

Wer sich vom jüngsten Stimmungsbarometer des
Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) konkrete Hinweise
auf den weiteren Wirtschaftsverlauf in Deutschland erhofft hat, sieht
sich getäuscht. Die ZEW-Konjunkturerwartungen gingen im Vergleich zum
März zwar erneut nach unten. Bezieht man den Index aber nicht auf den
Mittelwert der vorherigen Umfrageperiode, sondern auf das Ende der
Erhebung, das ein paar Tage nach den verheerenden Katastrophen in
Japan lag, stagnierte der Frühindikator.

War also diesmal die Übung der Mannheimer Wirtschaftsforscher, die
jeden Monat rund 300 institutionelle Anleger und Finanzmarktexperten
nach deren Einschätzung zur Konjunktur in Deutschland und im gesamten
Euroraum befragen, umsonst? Nein, sie war es nicht. Auch wenn daraus
kein Fingerzeig erfolgt, ob das deutsche Wirtschaftswachstum nun ein
paar Prozentpünktchen niedriger oder höher ausfällt als erwartet, so
wurde doch die Unsicherheit, welche die volkswirtschaftlichen
Prognosen seit einigen Monaten umgibt, wieder etwas stärker ins
Bewusstsein gerückt.

Aktuell freilich erstrahlt der Wirtschaftshimmel über Deutschland
in tiefem Azurblau. Die Wachstumsprognosen für das laufende Jahr
werden schon fast im Wochenrhythmus nach oben korrigiert; das
zunächst für 2011 vorausgesagte deutliche Abbremsen nach dem
Rekordwachstum von 3,6% im Vorjahr wird nun auf neue Rechnung, sprich
2012, vorgetragen.

Die Wolken am Horizont – Schuldenkrise in der Euro-Peripherie,
Umwälzungen bis hin zu Bürgerkriegen in arabischen Ölstaaten,
wachsende Inflationsgefahr aus weiter steigenden Rohstoffpreisen und
kaum gedrosselter Geldflutung durch die großen Notenbanken – haben
sich damit aber nicht verflüchtigt. Die darin enthaltenen Gefahren
für die Konjunktur haben sich nur noch nicht materialisiert. Sie
müssen es allerdings auch nicht, einige der Risiken lassen sich sogar
aktiv verringern. Die Europäische Zentralbank hat auf ihrem
Zuständigkeitsgebiet mit der Leitzinserhöhung auch schon den ersten
Schritt in die richtige Richtung getan.

Der ZEW-Erwartungsindex für April ist aber nicht nur Hinweis auf
die grundsätzlichen Konjunkturrisiken. In ihm zeigt sich auch eine
Normalisierung, dem weitere Indikatoren, etwa das Ifo-Geschäftsklima,
über kurz oder lang folgen werden. Jahrelange Boomphasen mit 3%
Wachstum p.a. und mehr sind in Deutschland nicht die Regel, sondern
die Ausnahme. Daran wird sich auch in Zukunft nichts ändern.

(Börsen-Zeitung, 13.4.2011)

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