DefDesc – neuartiges 2D-Erfassungs- und 3D-Auswertungssystem von Kfz-Unfalldaten

Die Ausgangssituation

Im Automobilland Deutschland wird die wohl weltweit umfassendste Verkehrsunfallforschung betrieben. Für die grundlegende Aufnahme von Unfallinformationen sind die örtlichen Polizeibehörden zuständig, die dafür oft spezialisierte Aufnahmeteams bereitstellen und deren Aufgabe die Feststellung des Unfallhergangs umfasst. Zusätzlich gibt es aber in der Bundesrepublik eine Vielzahl von Akteuren, welche eine wesentlich tiefgründigere Erhebung der Verkehrsunfallinformationen betreiben. Dazu zählen unter anderem wissenschaftliche Institutionen, die DEKRA, Versicherungsgesellschaften oder auch die Automobilhersteller. Das Ziel der privaten Unfallforschung ist es, Informationen über die Fahrzeugsicherheit, Mängel im Straßenbau, typische Verletzungsmuster oder auch Verkehrsverhaltensprobleme zu ermitteln, um zukünftig Unfälle vermeiden und die Fahrzeugsicherheit verbessern zu können.
Zurzeit werden bei der Erhebung von Verkehrsunfallinformationen pro Unfall Datensätze mit bis zu 3.000 alphanummerischen Einzelinformationen erfasst. Um eine standardisierte Aufnahme dieser gewaltigen Datenmenge zu ermöglichen, wurde von der Trans4mation IT GmbH aus Dresden mit UNIDATO® eine Software für die mobile digitale Datenerfassung entwickelt. UNIDATO® ist speziell auf die Anforderungen der Unfallforschung ausgelegt und kommt unter anderem bei Volkswagen oder der Verkehrsunfallforschung an der TU-Dresden zum Einsatz.

Der Forschungs- und Entwicklungsbedarf

Für die Vor-Ort Aufnahme von raumbezogenen Daten einer Kfz-Verformung stand bisher keine vergleichbare Technologie zur Verfügung und in der Vergangenheit wurde immer wieder der dringende Bedarf an einem solchen System angemeldet. Die Erhebung von Fahrzeugdeformationen erfolgte bislang mittels handgezeichneter Skizzen, die daher nicht automatisiert ausgewertet werden konnten und die Fahrzeugverformungen erst mit Spezialprogrammen aufwendig nachgestellt werden mussten. Alle bisherigen Versuche, den Prozess der skizzenbasierten Deformationserfassung am Fahrzeug unmittelbar am Unfallort zu digitalisieren, waren nicht erfolgreich. Herkömmliche CAD-Systeme und 3D-Szenenmodulierungsmodule erwiesen sich aus verschiedenen Gründen dafür als ungeeignet.
Mit einer Technologie zur mobilen und computergestützten Erfassung und Modellierung von Fahrzeugdeformationen könnten Informationen über das Fahrzeugverhalten bei Verkehrsunfällen nicht nur erheblich schneller und günstiger, sondern vor allem komplexer und tiefgründiger ausgewertet werden. Durch die so gewonnenen Erkenntnisse könnten Schwachpunkte von Karosserien und Risiken der Insassen wesentlich einfacher ermittelt werden und wären im Besonderen für die Automobilhersteller von großem Interesse, um das Sicherheitsniveau der produzierten Fahrzeuge erhöhen zu können.

Die Projektidee

In einem einjährigen Gemeinschaftsprojekt entwickelten das Fraunhofer-Institut für Verkehrs- und Infrastruktursysteme aus Dresden und die Trans4mation IT GmbH mit DefDesc eine Technologie, welche die Lücke im elektronischen Erhebungsprozess bei Verkehrsunfällen schließen kann.
Das neuartige System DefDesc vereint im Wesentlichen drei Merkmale.
Erstens erlaubt die Software eine schnelle und effektive digitale Erfassung von Fahrzeugdeformationen an der Unfallstelle und ermöglicht anhand dieser Informationen eine schnelle und automatische Erstellung von 3D-Modellen der Verformungen vor Ort.
Zweitens kann DefDesc die performante Vorhaltung und den schnellen Zugriff auf die speicherintensiven Geometrie- und Topologiedaten der räumlichen Deformationen der Unfallfahrzeuge bewerkstelligen.
Drittens schafft das System mit den integrierten Schnittstellen die Vorrausetzung für eine flexible Auswertung der erfassten Daten für die verschiedenen Anwendungen der Unfallforschung.

Der Lösungsansatz

Für die Erreichung der Projektziele wurde vom Fraunhofer-Team unter der Leitung von Herrn Dr. Kamen Danowski ein komplexes Datenmodell für die Fahrzeugbeschreibung sowie Algorithmen zur Deformationsberechnung entwickelt und in DefDesc implementiert. Dabei wird zunächst zwischen insgesamt acht verschiedenen Fahrzeugtypen unterschieden, vom Kleinstwagen bis zum Kleinbus. Eine Erweiterung um weitere Kfz-Klassen ist bei Bedarf jedoch problemlos möglich. Es wurde ein inhomogenes räumliches Projektionsgitter entworfen, das sich in die Bereiche vordere Stoßstange bis Lenkachse, Lenkachse bis hintere Achse und hintere Achse bis hintere Stoßstange untergliedert und auf jeden Fahrzeugtyp anwendbar ist. Mit dem neuartigen 2D- und 3D-Visualisierungs- und Erfassungssystem DefDesc ist es jetzt möglich, direkt an der Unfallstelle mit Laptops oder Tablet-PCs räumliche Deformationsdaten elektronisch zu erheben. Dazu werden auf insgesamt sechs verschiedenen 2D-Ansichten der jeweiligen Kfz-Typen, die entsprechenden Deformationsbereiche am Fahrzeug markiert. Aus diesen Informationen kann das System dann mittels Algorithmen ein 3D-Modell errechnen, auf dem die Fahrzeugdeformationen abgebildet sind. Weiterhin wurden in dem Softwareentwicklungsprozess spezielle Schnittstellen zur etablierten Datenerhebungssoftware UNIDATO® geschaffen, so dass der Austausch alphanumerischer und grafischenr Daten nahtlos möglich ist. Durch die Verknüpfung der dreidimensionalen Deformationsdaten von DefDesc mit den durch UNIDATO® erhobenen Unfalldaten, entstehen völlig neue Möglichkeiten für die Unfallforschung. Zukünftig wird es nicht nur möglich sein, sämtliche Verkehrsunfalldaten mit einer einzelnen Anwendung zu erheben und zu verwalten, sondern die so gewonnenen Informationen bilden die Grundlage für bis jetzt noch nicht mögliche komplexe Schadensanalysen und Auswertungen.