DER STANDARD-Kommentar „Überflüssiges Steuer-Ritual“ von Eric Frey

Keine Frage: Das österreichische Steuersystem ist zu
kompliziert, manchmal ungerecht und daher reformbedürftig. Die
entsprechenden Vorschläge von Ökonomen und Steuerexperten für ein
einfaches und faires Modell liegen seit Jahren auf dem Tisch und
laufen meist auf das Gleiche heraus: niedrigere Steuersätze mit
weniger Ausnahmen. Ein effizienteres System, so die Hoffnung, könnte
Kosten sparen und das Wachstum ankurbeln.
Wenn Politiker das Wort Steuerreform in den Mund nehmen, meinen sie
allerdings etwas anderes: Dann wollen sie meist den Wählern etwas
geben und vor allem ihre Klientel entlasten _- gelegentlich auch
ideologische Ziele durchsetzen. So reduziert sich seit Jahrzehnten
jede Steuerreform zu einer wahlkampfgerechten Steuerentlastung, um
die SPÖ und ÖVP monatelang ringen. Eine echte Verbesserung des
Steuersystems hat sich dadurch selten ergeben.
Das Pokern um die nächste Reform hat bereits begonnen. Der SPÖ geht
es diesmal mehr um Gerechtigkeit, die sie durch neue Vermögenssteuern
erreichen will. Und ÖVP-Klubobmann Karlheinz Kopf hat für seine
Partei eine langfristige Zielgröße genannt: mindestens zehn
Milliarden Euro Steuersenkung, damit es die Bürger auch wirklich
spüren. Das ist ein ansehnlicher Betrag, auf den der Staat da
verzichten müsste.
Tatsächlich ließen sich aus den Vorschlägen einige sinnvolle
Maßnahmen herausdestillieren – zumindest in der Theorie. Eine höhere
Grundsteuer ist allein schon aus verfassungsrechtlichen Gründen
geboten, greift aber nur, wenn Agrarflächen nicht ganz ausgenommen
werden. Eine Senkung der Lohnnebenkosten nützt der Beschäftigung, ist
aber schwierig gegenzufinanzieren. Höhere Energiesteuern, ein Favorit
der Experten, sind höchst unpopulär. Und die Eingliederung des
steuerbegünstigten Jahressechstels in den allgemeinen Tarif bleibt
politisch ein Tabu: Das Urlaubs- und Weihnachtsgeld traut sich
niemand anzutasten.
Gar so dringend, wie die Politiker derzeit tun, sind Änderungen in
den Steuergesetzen nicht. Österreich ist im europäischen Vergleich
zwar ein Hochsteuerland, aber kein extremes. Und bei allen
berechtigten Klagen über teure Verwaltung, schlechte Unis und
Frühpensionen werden die Steuergelder hier ganz gut eingesetzt. Auch
wird keine Bevölkerungsgruppe übermäßig belastet. Gerade weil alle
über ihre Steuern klagen, ist das System recht ausgewogen.
Ein überzeugendes Argument für eine regelmäßige Steuerentlastung ist
die kalte Progression: Durch die Inflation zahlt jeder Jahr für Jahr
etwa höhere Steuern, ohne real mehr zu verdienen. Aber ein leichter
Anstieg der Abgabenquote wäre in den kommenden Jahren verkraftbar.
Schließlich ist der Staatsschuldenberg als Folge der Finanzkrise auf
ein Rekordhoch gestiegen und sollte rasch wieder unter die Marke von
60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts gedrückt werden.
Um das zu erreichen, könnte die Politik ruhig längere Zeit auf das
Ritual der Steuerreform verzichten. Wünschenswert wäre ein Moratorium
für alle Steuervorschläge im anlaufenden Wahlkampf und der ganzen
nächsten Legislaturperiode.
Wenn im Jahr 2018 die Staatsfinanzen wieder im Lot sind, kann die
Debatte neu starten und vielleicht zu intelligenteren Lösungen
führen. Eine baldige Steuerreform würde hingegen bloß in einem neuen
Murks münden.

Rückfragehinweis:
Der Standard, Tel.: (01) 531 70/445

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