DER STANDARD-Kommentar: „Was wirklich wütend macht“ von Karin Riss

Es heißt ja, dass ein Problem allein dadurch
erträglicher wird, dass man den Frust darüber an geeigneter Stelle
loswerden kann. Die Familienministerin hat das jetzt bei ihrem
SPÖ-Verhandlungsgegenüber, Unterrichtsministerin Gabriele
Heinisch-Hosek, versucht. Sie sei „enttäuscht und sehr wütend“, ließ
Sophie Karmasin da ziemlich un-politikerlike Dampf ab. Das mag zwar
sympathisch rüberkommen, verstellt aber den Blick auf das, was
wirklich aufregt.

Für jene, um deren berufliches Umfeld es beim Streit um den Ausbau
von Kinderbetreuungsplätze geht, ist es ungleich schwieriger, ein
Ventil für ihren Ärger zu finden. Denn diese eine Stelle, bei der man
sich über all die Widrigkeiten und Absurditäten des Systems
beschweren könnte, gibt es für sie nicht. Für den elementaren
Bildungsbereich zuständig sind neben Gemeinden und Ländern bis zu
drei Ministerien (Familie, Unterricht, Integration). Kein Wunder
also, dass Experten, etwa von der Plattform Educare, mit der
Forderung nach einem einheitlichen Bundesrahmengesetz – und damit
klaren Zuständigkeiten und Regeln – seit Jahren im Kreis laufen. Ist
ja keiner zuständig. Oder eben immer der andere.

Dass die Verhandlungen zwischen Bund und Ländern jetzt mit einiger
Dramatik in der Wortwahl unterbrochen wurden, ist Glücksfall und
anschauliches Beispiel zugleich für absurden Föderalismus.
Zweifelsfrei gut ist, dass der Gesetzesentwurf nicht so ohne weiteres
durchging. Denn inhaltlich ist tatsächlich einiges
verbesserungswürdig. Dass Kindergärten künftig etwa 45 statt 47
Wochen offenhalten müssen, ist in der Tat unzumutbar. Für die Eltern!

Schon die bisherige Regelung steht in keinem Verhältnis zum
gesetzlichen Urlaubsanspruch berufstätiger Mütter und Väter. Dass
Karmasin hinter diesen Status quo zurückfallen will und das mit der
Unzumutbarkeit für finanzklamme Gemeinden rechtfertigt, kann einen
schon „sehr wütend“ machen.

Ärgern kann man sich auch über die „freiwillige“ Verbesserung des
Betreuungsschlüssels. Oder darüber, dass man auch diesmal darauf
verzichtet hat, Mittel, die nicht im Sinne der – ohnehin mehr als
vagen – Qualitätsvorgaben eingesetzt wurden, zurückzufordern.
Schlicht „enttäuschend“ ist, dass auch die jetzt eingetretene
Nachdenkpause wohl nicht für mutigere Schritte genützt wird. Denn die
Gemeinden haben natürlich recht, wenn sie sich nicht auf den mauen
Deal einlassen wollen, ziemlich viel Geld in die Hand zu nehmen, um
letztlich auf ziemlich hohen Personalkosten für zusätzliche
Pädagoginnen sitzenzubleiben. Wer Bildung als zentrale Aufgabe des
Staates definiert, muss auch die systematischen Rahmenbedingungen
hierfür schaffen. Heißt: Bundeskompetenz statt neun verschiedene
Ländergesetze.

Was am vorliegenden Entwurf am meisten aufregt: dass die
Ausbildung künftiger Pädagogen nicht einmal erwähnt wird. Gut, es
kann ja auch nicht jeder Tischler einen Uni-Abschluss machen, wie
Karmasin unlängst meinte. Dass der derzeitige Weg, für den man sich
in Österreich immer noch mit 14 Jahren entscheiden muss, europaweit
unterdurchschnittlich ist, weiß sie trotzdem. Das führt einerseits
dazu, dass viele Absolventinnen nie im Beruf landen. Und diejenigen,
die es doch tun, verstehen sich dann oft immer noch als die liebe
Basteltante, die schaut, dass die Kinder auch schön brav sind. Das
alles kann einen schon wütend machen. Sehr sogar.

Rückfragehinweis:
Der Standard, Tel.: (01) 531 70/445

Digitale Pressemappe: http://www.ots.at/pressemappe/449/aom

*** OTS-ORIGINALTEXT PRESSEAUSSENDUNG UNTER AUSSCHLIESSLICHER
INHALTLICHER VERANTWORTUNG DES AUSSENDERS – WWW.OTS.AT ***

Weitere Informationen unter:
http://