Der Tagesspiegel: Der Tagesspiegel Berlin meint zum Umsturz in Tunesien

320 Millionen Araber erlebten live über Al
Dschasira mit, wie schlagartig diese Machtpraxis zusammenbrechen
kann, wenn Drohungen und Prügel, Gefängnis und sogar scharfe Schüsse
die Menschen nicht mehr einschüchtern. Ob der heroische Freitag
allerdings als historischer Wendepunkt in die Geschichte der Region
eingeht oder nur als Strohfeuer mit Freudentänzen, kann heute niemand
sagen. Denn die Kapazität arabischer Regime, Erschütterungen zu
überstehen, bleibt nach wie vor beträchtlich. Auch mündet die
Vertreibung des Diktators Ben Ali nicht automatisch in eine
funktionierende Demokratie, so bewundernswert der Mut der Menschen
auch ist. Tunesiens Zivilgesellschaft ist kaum entwickelt, die
politische Opposition dezimiert und desorganisiert. Es fehlt an
Vordenkern und an Erfahrung, um den Seilschaften der bisherigen
Machtelite das Heft aus der Hand nehmen zu können. Das tunesische
Exil musste über Jahrzehnte abseitsstehen, so dass ihm die eigene
Heimat fremd geworden ist. Dagegen könnten die Islamisten nach Jahren
harter Unterdrückung bald eine problematische Blüte erleben.

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