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Deutsches Aktieninstitut e.V.: Finanzplatz-Interview: Werner Baumann,
Finanzvorstand, Bayer AG
02.05.2011 / 10:00
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Werner Baumann, Finanzvorstand, Bayer AG
–Leitzinsanhebung durch die EZB auch als Zeichen politischer Unabhängigkeit
wichtig–
Uta-Bettina von Altenbockum, Finanzplatz
Seit 1988 arbeitet Werner Baumann bereits im Bayer-Konzern. Nach vielen
verschiedenen Stationen innerhalb des Konzerns und Aufenthalten in Spanien
und den USA wurde er Anfang 2010 als Finanzvorstand in die Konzernspitze
berufen. Wie er die konjunkturelle Entwicklung beurteilt, welche Bedeutung
das Thema Nachhaltigkeit für Bayer hat und wie die grüne Gentechnik helfen
kann, die Ernährung der Weltbevölkerung sicherzustellen, erläutert er in
einem Interview mit dem Finanzplatz.
Interview
Herr Baumann, im Februar hat Bayer eine Pilotanlage zur Produktion
hochwertiger Kunststoffe unter Einsatz von Kohlendioxid in Betrieb
genommen. Zugrunde liegt dem Ganzen ein Projekt mit dem schönen Namen
–Dream Production–. Werden hier Träume wahr, oder ist das Ganze nur ein
Traum?
Hier könnte tatsächlich ein Traum Wirklichkeit werden – nämlichÖl als
Rohstoff zu sparen und gleichzeitig das klimaschädliche Kohlendioxid
sinnvoll zu nutzen. Wir wollen CO2 künftig für die Herstellung von
Polyurethanen einsetzen, einem Vorprodukt für Schaumstoffe. Den
technologischen Durchbruch haben wir kürzlich im Labor erzielt, nun haben
wir – gemeinsam mit dem Energiekonzern RWE und der RWTH Aachen University –
begonnen, dieses Verfahren in einer Pilotanlage zu erproben. Bei
erfolgreichem Verlauf könnten die ersten Produkte auf CO2-Basis im Jahr
2015 auf den Markt kommen.
Nachhaltiges Wirtschaften wird in deutschen Unternehmen großgeschrieben.
Bayer will mit seinen Produkten auch dem Klimaschutz und der
Ressourceneffizienz dienen. Auf welche Weise gelingt dies?
Nehmen Sie beispielsweise Dämmstoffe aus Polyurethan: Die Isolation von
Kühlgeräten oder Gebäuden spart etwa 70-mal so viel Energie ein wie die
Herstellung der Dämmstoffe erfordert. Oder denken Sie an den Bereich
Mobilität: Ob Flugzeuge oder Autos – Kunststoffe, die leicht und z.B. dank
der Nanotechnologie trotzdem belastbar sind, ersetzen schwerere Materialien
und ermöglichen so einen niedrigen Kraftstoffverbrauch ohne Einbußen bei
Raumangebot und Stabilität. Aber auch in der Landwirtschaft sind die
Ressourcen begrenzt – die Ackerflächen und Bewässerungsmöglichkeiten lassen
sich kaum ausdehnen. Insofern hilft optimiertes Saatgut, die verfügbaren
Flächen bestmöglich zu nutzen.
Das Thema Nachhaltigkeit ist auch für Investoren und Analysten von immer
größerer Bedeutung. Wäre der zurzeit diskutierte, dem Corporate Governance
Kodex nachempfundene Nachhaltigkeitskodex für die Unternehmen ein
sinnvolles Instrument, um mit diesem Thema umzugehen?
Wir begrüßen grundsätzlich das Ziel des Rates für nachhaltige Entwicklung,
wesentliche Nachhaltigkeitsaspekte des unternehmerischen Handelns für alle
Anspruchsgruppen greifbar zu machen und damit dem Nachhaltigkeitsengagement
von Unternehmen zu einer höheren Sichtbarkeit zu verhelfen.
Der vorgelegte Entwurf –Auf dem Weg zu einem Deutschen
Nachhaltigkeitskodex– ist aus unserer Sicht eine gute Basis für die weitere
Diskussion. Wir halten allerdings die vorgeschlagene rechtliche Verankerung
im Aktiengesetz aufgrund erheblicher rechtlicher Bedenken nicht für
sinnvoll. Darüber hinaus sollten die bereits heute etablierten Instrumente
eines Nachhaltigkeitsmanagements – wie beispielsweise die Guidelines der
Global Reporting Initiative zur Nachhaltigkeitsberichterstattung oder die
UN Global Compact-Prinzipien – stärker berücksichtigt werden.
Ein Bereich, in dem Bayer sich stärker engagieren will, ist die grüne
Biotechnologie, d.h. also u.a. modifiziertes Saatgut. Die Bedenken in
Deutschland und Europa gegenüber genveränderten Lebensmitteln sind groß.
Wie will Bayer diese Bedenken ausräumen?
Auch hierzulande werden die Bedenken gegen diese Technologie in dem Maße
zurückgehen, in dem sie sich weltweit etabliert. Schon heute bauen mehr als
15 Mio. Landwirte weltweit auf rund 150 Mio. Hektar Nutzpflanzen an, die
mit Hilfe der grünen Gentechnik optimiert sind, Menschen haben bisher mehr
als 2 Mrd. Mahlzeiten mit diesen Produkten verzehrt. Die Sicherheit dieser
Technologie beweist sich also tagtäglich millionenfach. Bei Bayer forschen
wir zum Beispiel an Pflanzen, die höhere Erträge bringen,
widerstandsfähiger gegen Hitze und Trockenheit sind oder resistent gegen
Schadinsekten.
Da in Europa die Lebensmittelversorgung der Menschen mit Hilfe
konventioneller Methoden sichergestellt werden kann, ist der Bedarf an
genveränderten Lebensmitteln hier eher gering. Wie sieht es in den
Entwicklungsländern aus? Können wir die bei einer wachsenden
Weltbevölkerung entstehenden Ernährungsprobleme mit Hilfe der Gentechnik
lösen?
Die Herausforderung ist jedenfalls so groß, dass es unverantwortlich wäre,
die Chancen der grünen Gentechnik nicht zu nutzen. Die Weltbevölkerung wird
von heute fast sieben Milliarden Menschen bis zum Jahr 2050 aufüber neun
Milliarden zunehmen. Gleichzeitig werden knappe landwirtschaftliche Flächen
immer häufiger genutzt, um Bio-Kraftstoff zu erzeugen. Das heißt: Wir
werden eine enorme Steigerung der landwirtschaftlichen Produktivität
brauchen, um in Zukunft alle Menschen ernähren zu können. Dafür müssen wir
alle verfügbaren Mittel verantwortungsvoll einsetzen – auch die grüne
Gentechnik.
Die wichtigste Geschäftssparte von Bayer ist der Healthcare-Bereich. Hier
haben die Unternehmen mit politischen Vorgaben und den Generikaanbietern zu
kämpfen. Welche Veränderungen muss es in diesem Bereich geben, um im
Wettbewerb bestehen zu können?
Bayer ist ein innovatives Unternehmen und wird es bleiben! Wir forcieren
die Erforschung, Entwicklung und Vermarktung unserer Produkte, unser
Forschungsetat ist in den beiden zurückliegenden, schwierigen Jahren weiter
gestiegen und liegt jetzt auf dem Rekordniveau von 3,1 Mrd. EUR.
Der Bedarf an neuen Medikamenten bleibt ungeachtet der politischen
Eingriffe hoch – eine Vielzahl von Erkrankungen kann nach wie vor nicht
oder nur unzureichend behandelt werden. Pharmaforschung bedeutet hohes
unternehmerisches Risiko, denn die Kosten für neue Medikamente steigen
kontinuierlich und eine Erfolgsgarantie gibt es nicht.
Wir werden daher die notwendigen Ressourcen für Forschung und Entwicklung
durch interne Umschichtungen aufbringen. Unser Motto lautet: Mehr
Innovation, weniger Administration! Bis 2012 wollen wir konzernweit rund
4.500 Stellen abbauen. Im Gegenzug rechnen wir mit 2.500 neuen Stellen
vornehmlich in den Schwellenländern, wo die Versorgung mit Medikamenten
noch weit hinter dem westlichen Standard liegt. Dort müssen wir kräftig
expandieren, vor allem dort können wir weiter wachsen.
Herr Baumann, im Geschäftsbericht von 2010 kündigt Bayer an, den
Frauenanteil im Aufsichtsrat bis 2017 auf 20% erhöhen zu wollen. An anderer
Stelle wird darauf hingewiesen, dass bis 2015 der Anteil von Frauen in
Führungspositionen konzernweit in Richtung 30% entwickelt werden soll.
Wieso sind die Bestrebungen, den Frauenanteil zu erhöhen, in Bezug auf den
Aufsichtsrat deutlich bescheidener als bei den Führungspositionen?
Wir wollen mehr Vielfalt bei den Führungskräften – darunter verstehen wirübrigens mehr als den Frauenanteil. So setzen wir u.a. auf eine stärkere
Berücksichtigung lokaler Talente aus unseren Auslandgesellschaften bei der
Vergabe von Führungspositionen.
Es stimmt, der Anteil von Frauen in Führungspositionen soll konzernweit in
Richtung einer Zielgröße von 30% steigen. Derzeit beträgt dieser Anteil
bereits rund 20% – mit steigender Tendenz, denn sowohl unter den
Hochschulabsolventen der naturwissenschaftlich-technischen Disziplinen als
auch bei unseren Neueintritten sind Frauen immer stärker vertreten. Es ist
eine Frage der Zeit, bis sich dies auch in den Führungsebenen
widerspiegelt. ImÜbrigen werden schon heute rund 30% unseres operativen
Geschäfts von Frauen verantwortet.
Für die Zusammensetzung des Aufsichtsrats ist die Hauptversammlung bzw. bei
mitbestimmten Gesellschaften auch die Arbeitnehmerschaft zuständig. Zudem
formuliert der Aufsichtsrat die Ziele für seine Zusammensetzung selbst.
Nach meiner Einschätzung ist die vom Aufsichtsrat angestrebte Verdoppelung
des Frauenanteils von derzeit 10% auf mittelfristig 20% ein wichtiger
Schritt. Beim Aufsichtsrat ist zu berücksichtigen, dass er typischerweise
mit Persönlichkeiten besetzt wird, die sich bereits in hochrangigen
Führungsaufgaben bewährt haben. Auch deshalb ist die Steigerung des
Frauenanteils bei den Führungskräften so wichtig. Dadurch wirdüber die
Jahre auch die Zahl der Kandidatinnen für Aufsichtsräte steigen. Starre
Quotenvorgabenüberzeugen uns allerdings nicht.
Nach der Finanzkrise hat sich die deutsche Wirtschaft in einem Tempo wieder
erholt, das keiner für möglich gehalten hätte. Trotzdem wird immer wieder
gewarnt, dass der Aufschwung noch fragil sei. Sehen Sie das auch so? Können
die schrecklichen Ereignisse in Japan zu einem globalen Wirtschaftseinbruch
führen?
Die schnelle Erholung hat auch damit zu tun, dass in aller Welt
Konjunkturprogramme aufgelegt und die Leitzinsen gesenkt wurden. Die
deutsche Wirtschaft mit ihrem starken Export hat davon profitiert. Jetzt
müssen wir abwarten, wie es weitergeht, wenn diese Impulse auslaufen. Auch
die Folgen der Katastrophe in Japan lassen sich heute noch nicht
vollständig abschätzen. Im Allgemeinen wird nicht davon ausgegangen, dass
die Ereignisse in Japan die Weltwirtschaft stark belasten werden. Für
unsere Aktivitäten bleiben wir zuversichtlich für das laufende Jahr.
Auch die Diskussion um die Schuldensituation in den europäischen
Peripheriestaaten ist vor den dramatischen Entwicklungen in Japan zunächst
in den Hintergrund gerückt. Was bedeutet die immense Verschuldung der
Euro-Staaten jedoch für die Wirtschaft im Allgemeinen? Sehen Sie konkrete
Auswirkungen für ein Unternehmen wie Bayer?
Die hohe Staatsverschuldung in Europa ist in der Tat Besorgnis erregend.
Die Regierungen müssen ihre Haushalte dringend in Ordnung bringen, und die
damit verbundenen Sparanstrengungen werden die Konjunkturentwicklung in den
kommenden Jahren bremsen. Mit unserem Portfolio sind wir bei Bayer
allerdings nicht so stark betroffen, weil mit den Bereichen Gesundheit und
Pflanzenschutz gut zwei Drittel unseres Geschäfts relativ
konjunkturunabhängig sind. Allerdings treffen uns die Sparbemühungen im
Gesundheitswesen verschiedener Länder. Im vergangenen Jahr lag die
Ergebnisbelastung bei 165 Mio. EUR, für 2011 rechnen wir bereits mit 270
bis 290 Mio. EUR.
Die starke Wirtschaftsdynamik in Deutschland und die andauernde Rezession
in einigen Euro-Staaten hat die Entscheidung für eine Leitzinserhöhung in
Europa schwierig gemacht. Trotzdem hat die EZB jetzt den Leitzins erhöht.
Was bedeutet dies für die Wirtschaftsentwicklung?
Wenn die Inflationsgefahr zunimmt, muss die EZBüber geeignete Maßnahmen
nachdenken – das ist ihre Aufgabe. Natürlich dämpft eine Leitzinserhöhung
die Wirtschaftsdynamik. Aber ich setze darauf, dass die EZB ihre Schritte
sehr sorgfältig analysiert und mit Augenmaßhandelt. Die Zinserhöhung ist
ein Zeichen ihrer politischen Unabhängigkeit, denn es gibt Politiker, die
unverhohlen einen Beitrag der Inflation zum Schuldenabbau anpeilen.
Die bessere wirtschaftliche Lage hat zur Folge, dass es vermehrt zuÜbernahmen oder Fusionen kommt. Mit großer Aufmerksamkeit wird der
angestrebte Zusammenschluss der Deutschen Börse AG mit der NYSE-Euronext in
Deutschland verfolgt. Was würde ein solcher Zusammenschluss für die
Emittenten in Deutschland bedeuten? Welche möglichen Auswirkungen sehen Sie
in Bezug auf den Finanzplatz Deutschland?
Uns sind derzeit keine Pläne fürÄnderungen am regulatorischen Rahmen für
den Börsenhandel oder an der Börsensegmentierung bekannt, die aus dem
genannten Zusammenschluss resultieren würden. Das Gleiche gilt für die bei
uns anwendbaren Rechnungslegungs- und Compliance-Vorschriften. Wir gehen
daher davon aus, dass wir uns weiter in den derzeit gültigen
Rahmenbedingungen bewegen würden, also dem Aktiengesetz und dem
Wertpapierhandelsgesetz und damit auch im Zuständigkeitsbereich der
deutschen und europäischen Behörden. Diesbezügliche Entwicklungen werden
wir aber aufmerksam beobachten.
Ende der Corporate News
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