Ethik-Defizite in der Kultur deutscher Unternehmen / Wertekommission: Unethische Verhaltensweisen werden zu wenig kontrolliert und sanktioniert

Die ethische Kultur zeigt in vielen Unternehmen
Deutschlands Defizite. Dies gilt insbesondere mit Blick auf das
Identifizieren und Sanktionieren unethischer Verhaltensweisen. Viele
Führungskräfte lassen außerdem erkennen, dass sie sich nicht
regelmäßig über moralische Sachverhalte Gedanken machen. Rund ein
Viertel der Führungskräfte neigt in manchen Situationen sogar dazu,
ihre moralischen Ansichten hinter andere Interessen zurückzustellen.

Dies sind die zentralen Ergebnisse der diesjährigen
Führungskräftebefragung, die die Wertekommission – Initiative Werte
Bewusste Führung e.V. seit 2008 jährlich durchführt. An der
Online-Umfrage beteiligten sich in diesem Jahr 545 Führungskräfte aus
der deutschen Wirtschaft, davon rund 80 Prozent aus dem mittleren und
oberen Management. Wie in den Vorjahren wurde die Befragung in
Zusammenarbeit mit der Professur für Forschungs- und
Wissenschaftsmanagement sowie dem Executive Education Center der TUM
School of Management der Technischen Universität München
durchgeführt.

Ethik und Moral nicht durchgehend verankert

Die Ergebnisse der Befragung zeigen, dass die meisten Befragten
grundsätzlich von dem Vorherrschen einer ethischen Unternehmenskultur
in ihren Unternehmen überzeugt sind. 78 Prozent sind der Meinung,
dass die ethischen Erwartungen und Normen im Unternehmen klar
formuliert sind; 73 Prozent geben an, dass in ihrem Unternehmen
ausreichend Möglichkeiten und Freiräume bestehen, um sich
verantwortungsvoll zu verhalten. Auch mit Blick auf die Kriterien
Vorbildwirkung, Unterstützung und Offenheit ergeben sich überwiegend
positive Einschätzungen: 70,7 Prozent stimmen der Aussage zu, dass
sich die Führungskräfte und das Management an die ethischen
Erwartungen halten (Vorbildwirkung), 71 Prozent sind der Überzeugung,
dass das Unternehmen die Beschäftigten mit Respekt behandele
(Unterstützung) und 70,1 Prozent geben an, dass ethische Fragen und
Probleme im Unternehmen offen angesprochen werden.

Erhebliche Verbesserungspotenziale werden dagegen in der
Transparenz und in den Sanktionen gesehen: Fast die Hälfte der
Befragten (48 Prozent) nehmen keine oder nur teilweise
Kontrollmöglichkeiten wahr, um Regelverstöße und unethisches
Verhalten aufzudecken. 54,4 Prozent sind außerdem der Überzeugung,
dass unethisches Verhalten nicht oder nur teilweise ausreichend
sanktioniert wird.

„Dieser Befund ist besorgniserregend, denn in einer zunehmend
digitalisierten Arbeitswelt wird ein eigenverantwortliches Handeln
von Mitarbeitern immer wichtiger. Wird das ethische Verhalten der
Mitarbeiter – und insbesondere das der Führungskräfte – weder
kontrolliert noch sanktioniert, besteht die Gefahr, dass Unternehmen
zukünftig noch häufiger in reputationsschädigende Skandale verwickelt
werden. Wertebewusstes und ethisches Verhalten muss daher mit noch
mehr Nachdruck eingefordert und unterstützt werden“, sagt Sven H.
Korndörffer, Vorsitzender des Vorstands der Wertekommission.

Geringe moralische Achtsamkeit

33 Prozent der Befragten geben außerdem an, dass sie moralische
Eigenschaften allenfalls als teilweise wichtig erachten. Und nur 22,7
Prozent der Befragten äußern, dass sie sich regelmäßig über
moralische Sachverhalte Gedanken machen. Bei 39,2 Prozent der
Führungskräfte ist die moralische Achtsamkeit allenfalls mittelmäßig
und bei 38,2 Prozent nur schwach bis sehr schwach ausgeprägt.

Bei der Frage, ob sich Führungskräfte in bestimmten Situationen
von allgemein akzeptierten Normen loslösen („moral disengagement“),
antwortet ein Viertel der Führungskräfte, dass sie in bestimmten
Situationen moralische Ansichten hinter andere Ziele zurückstellen.
Gleichzeitig lässt sich bei 17,8 Prozent der Befragten eine zynische
Grundhaltung ausmachen, die ein strikt eigennutzorientiertes
Verhalten von Menschen und Unternehmen unterstellt.

„Die Wirksamkeit einer ethischen Unternehmenskultur zeigt sich
insbesondere in herausfordernden Situationen und weniger im Alltag.
Wenn rund jede vierte Führungskraft bereit ist, im Zweifel
Kompromisse bei ihren moralischen Überzeugungen zu machen und
gleichzeitig zu wenig Kontrollen und Sanktionen bestehen, gibt dies
kein gutes Zeugnis über den Zustand der ethischen Unternehmenskultur
in Deutschland ab“, sagt Prof. Dr. Ludger Heidbrink, Mitglied des
Vorstands der Wertekommission.

Vertrauen wichtigster Kernwert

Zentraler Bestandteil der jährlichen Befragung ist die Erhebung
der wichtigsten Kernwerte in Unternehmen. Wie in den Vorjahren sehen
die Manager Vertrauen (35,5 Prozent), Verantwortung (25,9 Prozent)
und Integrität (18,8 Prozent) als die wichtigsten Werte an, gefolgt
von Respekt (11,4 Prozent), Nachhaltigkeit (5,1 Prozent) und Mut (3,3
Prozent). Vergleicht man diese Werte mit denen der Vorjahre, zeigt
sich, dass Vertrauen in den vergangenen vier Jahren stetig an
Bedeutung hinzugewonnen hat und mittlerweile eindeutig die höchste
Relevanz besitzt. Bemerkenswert ist außerdem, dass trotz der
intensiven Diskussion des Themas Nachhaltigkeit dieses als Kernwert
in seiner Bewertung unverändert bleibt.

Digitalisierung heißt Chance

Wie in den Befragungen 2017 und 2018 wurden die Führungskräfte
zusätzlich nach ihrer Einstellung gegenüber dem digitalen Wandel
befragt. Die Antworten zeigen, dass die Führungskräfte weiterhin in
der Digitalisierung mehr Chancen als Risiken sehen. Dies gilt sowohl
mit Blick auf die Gesellschaft in Deutschland als Ganzes als auch auf
den Wirtschaftsstandort, auf das eigene Unternehmen und auf sich
selbst als Führungskraft. Eine weitere Digitalisierung der
Arbeitswelt und des eigenen Privatlebens begrüßt der Großteil der
Befragten ebenfalls. Allerdings ist hier der Anteil der Pessimisten
am größten: 23 Prozent sehen im digitalen Wandel der Arbeitswelt eher
Risiken als Chancen und 18,7 Prozent bewerten in der Digitalisierung
des eigenen Privatlebens die Risiken höher als die Chancen.

Laut der Befragten sind die Gesellschaft als Ganzes, der
Wirtschaftsstandort und die Arbeitswelt in Deutschland wenig auf die
Digitalisierung vorbereitet. 55,1 Prozent äußern, dass die
Gesellschaft als Ganzes in Deutschland nicht oder sogar überhaupt
nicht auf den digitalen Wandel vorbereitet sei. 43,5 bzw. 35 Prozent
äußern diese Meinung auch mit Blick auf den Arbeitsmarkt und den
Wirtschaftsstandort Deutschland. „Ein Vergleich der Ergebnisse mit
denen der Vorjahre zeigt, dass diese Skepsis immer größer wird. Der
digitale Wandel und seine Auswirkungen sind laut der Führungskräfte
zwar in den Unternehmen angekommen, aber offenbar nur zu Teilen in
der Gesellschaft und der Arbeitswelt. Gefordert ist daher ein noch
intensiverer gesellschaftlicher Dialog, der sowohl soziale und
berufsbedingte Herausforderungen als auch standortpolitische
Fragestellungen thematisiert“, so Korndörffer.

Die Realisierung der Studie wurde durch die PricewaterhouseCoopers
GmbH ermöglicht; für diese Unterstützung sind wir der
Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft sehr dankbar.

Pressekontakt:
Sven H. Korndörffer, Tel. 0172 2913333 (Vorsitzender des Vorstands,
Wertekommission e.V.)
Prof. Dr. Claudia Peus, Tel. 0176 65270281 (Professur für Forschungs-
und Wissenschaftsmanagement, TU München)
Prof. Dr. Ludger Heidbrink, Tel. 0171 8362733 (Lehrstuhl für
Praktische Philosophie, Universität Kiel)

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