Fallstudie zur Potenzialanalyse bei der Herstellung von Badezimmer-Accessoires

Zielsetzung und Aufgabenstellung des Projektes

Ein mittelständischer Hersteller von Badezimmer-Accessoires in der Region Wien wollte im Rahmen der Einführung eines neuen ERP-Systems brachliegende Potenziale in der Fertigung eruieren und erschließen. Dazu sollten im Rahmen eines Beratungsprojektes Prozess- und Potenzialanalysen durchgeführt werden.

Die konkreten Aufgaben im Beratungsprojekt bestanden also in der Erfassung und Dokumentation der Ist-Produktionsprozesse, auf deren Grundlage Maßnahmen zur Erschließung von Verbesserungspotenzialen in den Produktionsprozessen vorgeschlagen werden sollten.

Die Potenzialanalysen umfassten die DV-gestützte Datenerhebung und  -auswertung

  • zur Analyse der Produktionsprozesse,
  • zu Tätigkeits- und Ablaufanalysen des Personals und
  • zur Untersuchung des Materialflusses sowie der Logistik.

Das Projekt wurde im Januar/Februar 2018 von dem Beratungsunternehmen REFA in Austria durchgeführt.

Ist-Zustand – repräsentative Analyseergebnisse

Ausschnittsweise sollen hier einige Ergebnisse der Ist-Analyse vorgestellt werden:

Vormontage

Bei der Vormontage von Produktkomponenten werden die benötigten Einzelteile systemisch erfasst. Die Zu- und Abbuchungen erfolgen händisch im Magazin/Wareneingangslager. Die Verwaltung der fertig montierten Komponenten erfolgt allerdings weder nach einer Auftrags- noch nach einer Materialnummerung in der EDV. Es gibt also keine Bestandsführung dieser Komponenten im System, Materialreservierungen können nicht vorgenommen werden. Folglich kann die Komponentenfertigung nicht auftrags- und bedarfsgerecht gesteuert werden

Der Personaleinsatz resultiert aus Reihenfolge und Umfang der vormontierten Komponenten (Montage- und Beipackteile). Auf Zuruf werden Einzelteile für die Montagen der Komponenten bereitgestellt.

Um die Verfügbarkeit der gängigen Materialien sicherzustellen, werden diese nach „Bauchgefühl“ in den Vormontagen und im Magazin gehortet.

Kanban-Läger

Die Kanban-Läger werden nicht vom System erfasst und verwaltet, so dass keine auftragsbezogene, verbrauchsgesteuerte Bestandsführung möglich ist. Die Lagerorte sind nur den Mitarbeitern bekannt, nicht dem System. Aus diesem Grund werden die Kanban-Läger nach dem Ergebnis optischer Kontrollen (2 x tägl. Rundgang eines Mitarbeiters im Magazin / Bereich der Vormontagen) aufgefüllt oder auf Zuruf bedient, falls das Material in den Greifbehältern der Montage (Schütten) zur Neige geht bzw. fehlt.

Ersatzteile

An jedem Tag werden ca. 150 Ersatzteilaufträge kommissioniert und versandt. Die Ersatzteile werden dabei nicht in einem DV-System administriert. Da es keine schriftlichen Aufträge gibt, wird die Arbeitszeit für die Kommissionierung der Aufträge lediglich durch Mitschriften der Mitarbeiter erfasst.

Montagen

Das Montagepersonal versorgt sich selber mit DIN- und Normteilen sowie Schüttgütern aus den Regalen im Lager. Produktive Mitarbeiter führen somit auch Tätigkeiten mit sehr geringer Wertschöpfung aus.

Potenziale im Detail

Aufgrund der ermittelten Ist-Situation wurden verschiedene Potenziale identifiziert. Dem Unternehmen wurde empfohlen, sie vor der Einführung eines neuen ERP-Systems zu erschließen.

Potenziale in der Vormontage

Notwendig ist eine systemmäßige Verwaltung und Stücklistenauflösung der Komponenten. Dabei sollten High runner (Serienfertigung) und Low runner (Auftragsfertigung) unterschieden werden.

High runner:

  • In der High-runner-Produktion müssen Layoutplanung und die Gestaltung hinsichtlich Dimension, Anordnung, Greifraum, Reichweiten usw. optimiert werden.
  • Materialfluss und die Arbeitsplatzgestaltung müssen den Effizienzanforderungen einer Serienfertigung entsprechen.
  • Die kontinuierliche Kanban-Versorgung der Arbeitsplätze mit allen Einzelteilen muss sichergestellt werden.
  • Zur Bestandssteuerung müssen Mindest- und Höchstbestände festgelegt werden. Das Erreichen der Mindestbestände löst neue Aufträge aus.
  • Vom System sollte – ausgelöst durch die Unterschreitung eines Mindestbestands im Kanban-Lager – eine auftragsbezogene Bedarfsauslösung der Aufträge erfolgen.

Low runner:

  • Die Auftragsbearbeitung und die Materialbereitstellung bei Low-runner-Produkten sollten nur noch auftragsbezogen erfolgen.

Potenziale Kanban-Läger

Kanban-Läger können durch folgende Merkmale optimiert werden:

  • Kanban-Läger sollten bzgl. der Materialnummern und Mengen auf die Vormontage der High runner abgestimmt werden.
  • Die Regeln für den Material-Nachschub (Kanban-Versorgung) sind intern festzulegen.
  • Grundsätzlich ist bei der Materiallagerung das „Zwei-Schütten-Prinzip“ anzuwenden.
  • Für die Materialreichweiten ist ein Planungsprozess einzuführen.
  • Neben der Definition von Verfallsdaten und Haltbarkeit sollte der Gebindeablauf erfasst und verarbeitet werden können.

Kanban-Läger müssen systemisch verwaltet werden. Bei Zu- und Abbuchungen ist auf Folgendes zu achten:

  • Ein DV-System muss Regal- und Lagerplatz je Kanban-Lager erfassen.
  • Über Aufträge der Vormontage sollten die Kanban-Läger gesteuert werden.
  • Bei Auftragsfertigmeldung der Komponenten sollte eine systemische, retrograde Materialabbuchung erfolgen.

Potenziale Ersatzteile

Ein weiteres Effizienzpotenzial stellen die systemische Verwaltung und Stücklistenauflösung der Ersatzteile dar. Zu beachten ist hierbei:

  • Im Bereich Ersatzteile ist das Layout völlig neu zu gestalten.
  • Mindest- und Höchstbestände (abgestimmt auf Verbrauch/Mengen) müssen neu bestimmt werden.
  • Aufträge sollten in Zukunft nur noch beim Unterschreiten von Mindestbeständen systemseitig ausgelöst werden.
  • Die Arbeitsinhalte sollten neu festgelegt werden, damit Tätigkeiten mit geringer Wertschöpfung nicht durch produktive Mitarbeiter geleistet werden müssen.
  • Auch bei der Auftragsfertigmeldung der Ersatzteile muss eine systemische, retrograde Materialabbuchung erfolgen.

Potenziale Montagen
Weitere erhebliche Potenziale lassen sich im Montagebereich erschließen. Die Differenzierung nach High runner und Low runner ist auch hier die Grundlage für folgende Maßnahmen:

  • Im Bereich Montage ist das Layout neu zu erstellen.
  • Die Differenzierung in High runner und Low runner ist auch maßgebend bei der Gestaltung von Arbeitsplatz und Materialfluss.
  • Bei High runner sollten 2 – 3 parallele Linien vorgesehen werden.
  • Zu gewährleisten ist eine kontinuierliche Kanban-Versorgung aller Einzelteile direkt am Arbeitsplatz.

Die Festlegung von Mindest- und Höchstbeständen (abgestimmt auf Verbrauch/Menge) ist auch im Montagebereich dringend zu empfehlen.