Frankfurter Rundschau: Dürfen, sollen, müssen

In einer Karikatur zeigt Laurent Sourisseau, der
das Attentat auf Charlie Hebdo verletzt überlebte, die „Grabscher von
Köln“ und legt den Gedanken nahe: So einer hätte auch der ertrunkene
syrische Flüchtlingsjunge Aylan Kurdi werden können. Darf Satire das?
Ja, auch das. Aber sollte sie es tun? Als Tucholsky befand, Satire
dürfe alles, ging es um die Auseinandersetzung mit den Herrschenden.
Die bloßzustellen, ist die vornehmste Aufgabe von Satire. Aber was
ist an einem toten Kind bloßzustellen? Womöglich geht es nicht um
das Kind, sondern um uns. Erst idealisieren wir an seinem Beispiel
die Flüchtlinge. Dann verteufeln wir sie als Grabscher. Dann hätte
der Satiriker keine bösen Mächte demaskiert, sondern uns
westeuropäische Betrachter. Und eine Haltung, die oft gut gemeint,
aber nicht immer frei ist von Widersprüchen und manchmal auch nicht
frei von Heuchelei. Einer Gesellschaft auf diese Weise den Spiegel
vorzuhalten – das muss Satire leisten. Um unserer Freiheit Willen.

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