FZ: Das Experiment als Chance Kommentar der „Fuldaer Zeitung“ zum Ausgabe der Bayern-Wahl (14. Oktober 2018)

So also reagiert der Wähler, wenn er das Gefühl hat,
von den Volksparteien – also ausgerechnet den Parteien, die sich
rühmen, die Interessen breiter Schichten der Bevölkerung zu vertreten
– nur noch als dummes Stimmvieh betrachtet zu werden. Was in den
vergangenen Monaten auf den Bühnen in Berlin, Bayern und dazwischen
aufgeführt wurde, schlägt sich in einem Ergebnis nieder, bei dem man
kaum glauben mag, dass ein Verlierer, die CSU, noch von einem „klaren
Regierungsauftrag“ spricht. Dass die „Volksparteien“ nicht einmal
mehr eine große Koalition bilden können, zeigt, wie weit sich CSU und
SPD inzwischen von der Bevölkerung entfernt haben. Bei 72 Prozent
Wahlbeteiligung repräsentieren beide mit ihren gemeinsamen 46 Prozent
nur noch ein Drittel der wahlberechtigten Bevölkerung.

Augenscheinlich ist das unaufhörliche Gezeter in der
Bundesregierung der Killer, der die CSU in ihr schlimmstes Ergebnis
seit 1950 und die SPD in die Bedeutungslosigkeit geführt hat. Der
Zoff um Seehofers Asylpaket, die „Beförderung“ des nicht mehr
tragbaren Verfassungsschutzpräsidenten Maaßen, das Hickhack um
Diesel-Fahrverbote – Gründe gibt es viele. Doch es greift zu kurz,
allein auf Pleiten und Pannen zu schauen. Nach 13 ermüdenden
Merkel-Jahren, ewigem Kuhhandel und Stillstand auf wichtigen Feldern
traut der Wähler den einstmals großen Parteien und ihren prominenten
Vertretern den großen Wurf nicht mehr zu. Merkel, Seehofer, Söder,
Nahles – wo bitte wird eine personelle Erneuerung vorbereitet, die
dringend notwendig wäre?

Der sich abwendende Bürger wählt zunehmend den Denkzettel, stärkt
(von der Linkspartei abgesehen) die Ränder und sieht im Experiment
offenbar die einzige Chance, auch mal unkonventionelle, mutige und
fortschrittliche Positionen in die Politik einzubringen. Darauf
könnte auch das schwache Ergebnis der FDP hindeuten, der mit ihrem
Nein zu Jamaika auf Bundesebene das Image der Verdrücker-Partei
anhaftet. Hingegen überrascht das Ergebnis der zur zweitstärksten
Kraft aufgestiegenen Grünen noch mehr, wenn man die acht großen
bayerischen Städte mit über 100 000 Einwohnern betrachtet. Hier
ist die Ökopartei mit 30 Prozent vor der CSU stärkste Partei
geworden. Verwunderlich, wenn man weiß, dass die Grünen sich im
Wahlkampf betont heimatverbunden gaben – und damit offenbar der CSU
Stimmen abjagten.

Nun wäre es also an der Zeit, auch in Bayern das Experiment mit
den Gewinnern zu wagen. Doch den Wahlverlierern dürfte dazu der Mut
fehlen. Söder hat bereits gestern Abend angekündigt, auf ein
bürgerliches Bündnis zu setzen – und bürgerlich sind für ihn die
Grünen eben nicht. Mit den Freien Wählern wird er leichteres Spiel
haben, die verlorenen CSU-Wähler allerdings wird er mit einem „Weiter
so“ nicht zurückholen. Um zu zeigen, dass das Wählervotum ernst
genommen wird, müssen zwingend auch personelle Konsequenzen in der
CSU folgen.

Für die Regierenden in Berlin ist das Ergebnis mehr als ein
weiterer Warnschuss. Die Kraft, Lösungen für die großen Probleme des
Landes zu finden, ist den Handelnden kaum noch zuzutrauen. Also
bleibt nur die Frage, ob sich die „große“ Koalition aus Gründen des
Machterhalts weiter durchwurstelt – oder ob das Trauerspiel vorzeitig
sein Ende findet. Ein weiteres Beben bei der Hessen-Wahl in zwei
Wochen, bei der Volker Bouffier darum kämpfen muss, die
30-Prozent-Marke zu überspringen, könnte die Kanzlerin und ihre
Koalition kaum kalt lassen. / Bernd Loskant

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