General-Anzeiger: Der „General-Anzeiger“ Bonn schreibt in seiner morgigen Ausgabe zur Lage der Koalition

Merkel-Dämmerung

Von Alexander Marinos

Gerade in der Politik sind Ratschläge zumeist und in erster Linie
Schläge. Wenn CDA-Vizechef Gerald Weiß der Kanzlerin rät, es sollte
einen Strafkatalog für Beleidigungen im Regierungslager geben, dann
stellt man sich Angela Merkel vor, wie sie künftig in der Koalition
Knöllchen verteilt – für verbale Entgleisungen wie „Wildsau“ oder
„Gurkentruppe“ zum Beispiel. Nicht viel besser ist der Tipp Ole von
Beusts, Merkel möge mal so richtig auf den Tisch hauen, um die
internen Störenfriede zu bändigen. Tatsächlich würde man sich wohl
mehr um die Hand der Kanzlerin als um den Tisch sorgen. Eigentlich
müsste Merkel jetzt den Schröder machen: einen Kurs vorgeben, auch
gegen Widerstände, und dann noch ein Basta! hinterschicken.
Stattdessen versucht sie weiter, jeden Streit auszusitzen, höchstens
moderierend einzugreifen und sich selbst bloß nicht festzulegen. In
der Vergangenheit ist das oft als Stärke Merkels gepriesen worden.
Inzwischen zeigt sich, dass es ihre größte Schwäche ist. Allzu lange
wird sich die Kanzlerin so nicht mehr durchwurschteln können. Ihre
angebliche Wunsch-Koalition ist am Ende, bevor sie überhaupt richtig
angefangen hat. Was haben die Wähler nicht für Hoffnungen in
Schwarz-Gelb gesetzt! Statt großkoalitionärer Flickschusterei wurden
tiefgreifende Reformen erwartet: in der Steuerpolitik, in der
Gesundheitspolitik. Eine Art Agenda 2020 war gefordert. Doch das
Scheitern des Projektes, das zwischenzeitlich sogar als
„geistig-politische Wende“ verkauft wurde, war von Anfang an
programmiert. Von Anfang an fehlte die klare Linie. Von Anfang an
waren die Sollbruchstellen im Kern des Bündnisses erkennbar. Unter
dem Strich war es ein eindeutiges Führungsversagen Merkels. Und so
ist gekommen, was kommen musste: Die versprochene Steuerreform
besteht aus höheren Steuern, die versprochene Gesundheitsreform aus
steigenden Beiträgen. Wo man nur hinsieht, ist die Koalition tief
zerstritten: bei der Wehrpflicht, beim Sparprogramm, bei der
Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke. Der eigene
Bundespräsidenten-Kandidat wurde nur mit Ach und Krach durchgesetzt.
Das alles sorgt für Nervosität. Zusätzliches Öl ins Feuer gießen die
ins Bodenlose fallenden Umfragewerte. Die FDP ist, gemessen an ihrer
Selbstwahrnehmung nach der Bundestagswahl, dabei, sich zu
atomisieren. Im Wochenrhythmus ploppt die Frage hoch, ob Westerwelle
noch der richtige Parteivorsitzende ist. Schon bald könnte Merkel der
gleichen Frage ausgesetzt sein. Allein: Wer sollte es machen?
Rüttgers ist weg, Koch ist weg, Wulff ist Bundespräsident und von der
Leyen ist seit der Präsidentschafts-Debatte angeschlagen. Das ist ja
gerade das Paradoxe: In der CDU gibt es kein Personal mehr, das
Merkel gefährlich werden könnte. Doch genau in dem Moment, in dem
sich alle Macht auf sie konzentriert, ist ihre Ohnmacht am größten.

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