HAMBURGER ABENDBLATT: Hamburger Abendblatt zu Rating-Agenturen

Ein Kommentar von Matthias Iken

Man kann einiges anführen zur Verteidigung der Rating-Agentur
Standard?&?Poor–s, die nun gleich 15 Euro-Staaten und den
Euro-Rettungsfonds auf einen Schlag abzuwerten droht. Es ist die
Aufgabe dieser Institute, die Bonität von Unternehmen und Staaten zu
bewerten: Nicht sie sind es, die die Schulden angehäuft haben, sie
fällen nur ein Urteil. Und den Überbringer schlechter Nachrichten
köpft man seit dem Mittelalter nicht mehr. Vielleicht sollte man
damit langsam wieder anfangen, denken so manche seit gestern. Wenn es
noch eines Beweises bedurft hätte, dass dieses Rating-Oligopol mit
drei Agenturen nicht funktioniert – in der Nacht wurde er geliefert.
Abgesehen von Griechenland und Zypern droht Standard&?Poor–s allen
Euro-Staaten auf einen Schlag mit der Herabstufung ihrer
Kreditwürdigkeit. Eigentlich sollen Rating-Agenturen Feuermelder
sein, doch längst fungieren sie als Flammenwerfer. Zwar argumentiert
Standard?&Poor–s mit der besorgniserregenden Entwicklung der
Schuldenkrise in Europa – doch die wurde von den Rating-Agenturen
mitbefeuert. Die erste Finanzkrise haben sie durch groteske
Fehlbewertungen von Ramschanleihen mit ausgelöst. Die Staaten mussten
löschen helfen, verschuldeten sich noch weiter und werden dafür nun
bestraft. Mit jeder Herabstufung, welche die Staaten trifft, steigen
deren Zinsen. Mit steigenden Zinsen wiederum wird es immer
schwieriger, Altschulden zu bedienen – ein Strudel, der nun nach
Griechenland auch Italien und Spanien in die Tiefe reißen könnte. Die
Urteile der Rating-Agenturen werden so zur self fulfilling prophecy,
einer Vorhersage, die sich von selbst bewahrheitet. Die Wut der
Politik ist verständlich. Im Gegensatz zu den Rating-Agenturen ist
sie demokratisch legitimiert und muss die Interessen aller im Blick
haben. Immerhin drücken Angela Merkel und Nicolas Sarkozy aufs
Reformtempo, Schuldenstaaten wie lrland, Italien oder Spanien haben
tief greifende und schmerzhafte Schnitte beschlossen. Doch die
Rating-Agenturen, die früher fahrlässig Persilscheine verteilt haben,
haben Maß und Mitte verloren. Einmal mehr gießen sie Öl ins Feuer,
pikanterweise kurz vor dem EU-Gipfel. Die vermeintlichen
Schiedsrichter sind längst zum Akteur in einem finsteren Spiel
geworden. Die Euro-Turbulenzen haben schon viele Regierungen aus dem
Amt gespült, sie erschüttern die Volkswirtschaften, lösen Unruhen
aus, sie ?desintegrieren Europa. Zurückhaltung und Bedacht,
Seriosität und Selbstkritik wären die Gebote der Stunde. Doch davon
ist bei den Rating-Agenturen wenig zu spüren: Noch bevor der
Rundumschlag gegen Europa offiziell verkündet wurde, hatte die
Botschaft Börsenhändler und Zeitungsredaktionen bereits erreicht.
Nicht einmal die vorgeschriebene Verschwiegenheit können die Herren
der Märkte gewährleisten: Wie schon bei der Herabstufung der USA
wussten einige besser informierte Kreise vorher von dem
Standard-?&-?Poor–s-Schritt. Und vor einigen Wochen war angeblich ein
Computerfehler für die marktbewegende Meldung verantwortlich,
Frankreich verliere sein Spitzenrating. Europas Politik hat neben der
Aufgabe, die Schuldenkrise zu lösen, inzwischen die Pflicht, das
Monopol der Rating-Agenturen zu brechen. Trotz aller berechtigten
Kritik an der Schuldenpolitik der Staaten ist es schlichtweg nicht
länger zu verantworten, dass einige kleine unregulierte
Rating-Agenturen mit Regierungen, Währungen, ja ganzen
Volkswirtschaften Schlitten fahren. Auch die Marktakteure müssen sich
vom Urteil der Rater emanzipieren. Immerhin gibt es Signale der
Hoffnung. Ein „Schwarzer Dienstag“ blieb aus, der Rückgang des Euro
war moderat. Auch die Märkte nehmen Standard?&?Poor–s nicht mehr so
ernst. Vielleicht war es rückblickend betrachtet nur ein „Schwarzer
Dienstag“ für Rating-Agenturen.

Pressekontakt:
HAMBURGER ABENDBLATT
Ressortleiter Meinung
Dr. Christoph Rind
Telefon: +49 40 347 234 57
Fax: +49 40 347 261 10
christoph.rind@abendblatt.de meinung@abendblatt.de

Weitere Informationen unter:
http://