HAMBURGER ABENDBLATT: Hamburger Abendblatt zum Konsumklima in Deutschland

Ein Kommentar von Oliver Schade

So konfus die Politik nach dem richtigen Weg aus der Schuldenkrise
sucht, so ruhig und besonnen reagiert die deutsche Bevölkerung auf
die beinahe tägliche Schwarzmalerei und Dampfplauderei zahlloser
Möchtegern-Ökonomen zur Zukunft des Euro. Kaum eine Talkshow kann es
sich noch leisten, auf das Spiel mit den Ängsten der Sparer und
Rentner zu verzichten – denn mit diesen Themen sind in unsicheren
Zeiten hohe Einschaltquoten garantiert. Schon vor Jahren sagten
Volkswirte zweistellige Inflationsraten voraus. Fakt ist: Eine so
lange Phase stabiler Preise hat es in Deutschland seit dem Zweiten
Weltkrieg nicht mehr gegeben. Auch nicht zu Zeiten der D-Mark, deren
Stärke Euro-Kritiker gerne preisen. Wenn es ums eigene Geld geht,
dann wird der Mensch nervös. Die Straßenkrawalle in Athen sind
dagegen weit weg. Dass jeder zweite Jugendliche in Spanien arbeitslos
ist, interessiert in Wellingsbüttel oder Othmarschen – wenn überhaupt
– nur am Rande. Und bei der Frage nach der genauen Ausgestaltung des
von der Politik ersonnenen Rettungsschirms oder der Bedeutung des
ominösen „Hebels“ dürften selbst diplomierte Volkswirte ins Stottern
geraten. Was zählt, ist das eigene Sparkonto, die Lebensversicherung,
die Rente. Was wird davon in drei, fünf, zehn Jahren noch übrig sein?
Wird doch die von halbseidenen Talkshow-Gästen immer wieder als
Schreckensszenario formulierte Hyperinflation kommen? Soll man sich
jetzt einen Goldvorrat anlegen? Solche und ähnliche Gedanken dürften
den meisten Deutschen in den vergangenen Monaten durch den Kopf
geschossen sein. Die Panikmacher hinterlassen eben ihre Wirkung. Umso
erfreulicher ist das aktuelle Verhalten der Deutschen. Sie geben zwar
mehr Geld aus, verzichten aber auch nicht auf ihre private
Altersvorsorge. Für die Konjunktur ist es wichtig, dass gerade die
Besserverdienenden in den kommenden Monaten kräftig konsumieren. Mit
ihren Ausgaben für langlebige Güter wie Möbel, Autos oder Computer
könnte der prognostizierte Abschwung hierzulande vielleicht noch
aufgehalten werden. Denn vor allem auf die inländische Nachfrage
werden Produzenten und Einzelhändler 2012 angewiesen sein. Bricht sie
weg, droht ein rasanter Anstieg der Arbeitslosigkeit. Kaufen, kaufen,
kaufen – so sollte die Devise dennoch nicht lauten. Mit Zuversicht
konsumieren, sich auch mal etwas gönnen, aber nicht plan- und kopflos
das Geld ausgeben. So lautet das beste Rezept für den einzelnen und
die gesamte Volkswirtschaft. Am Immobilienmarkt ist bereits Vorsicht
geboten. Auf den Kaufrausch könnte in einigen Jahren die große
Ernüchterung folgen. Sicherlich kann es Sinn machen, für das Alter
ein Haus oder eine Wohnung zu erwerben. Allerdings sollte gerade eine
solche private Großinvestition wohl überlegt sein. Angst vor
Inflation allein ist hier ein schlechter Ratgeber. Besonnene Bürger
stehen auf der Habenseite der Eurokrisen-Bilanz; nervöse Politiker,
die mehr Stückwerk als dauerhafte Lösungen anbieten, auf der
Sollseite. Es wird Zeit, dass die Regierenden in Europa endlich einen
langfristigen Weg aus der Schuldenfalle aufzeigen. Der
Schuldenschnitt für Griechenland ist nicht mehr als ein erster
Schritt. Kompromisslose Regulierungen der Finanzbranche, die das
gefährliche Spiel ehrgeiziger Banker mit fremdem Geld unterbinden,
müssen ebenso wie eine gemeinsame Finanz- und Wirtschaftspolitik
beschlossen werden. Und über allem muss selbstverständlich die
Konsolidierung der maroden Staatshaushalte stehen – nicht nur in
Griechenland, Portugal, Spanien und Italien. Auch in Deutschland. Es
wird Zeit für schnelle Entscheidungen und bittere Wahrheiten, damit
die Bürger auch in den kommenden Monaten besonnen bleiben.

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