Wirtschaftsberater des Vize-Premierministers
Lorenzo Fioramonti greift Berlin scharf an
Berlin, 20. Juni 2018 – Italiens neue Regierung greift Deutschland
wegen seines Außenhandelsüberschusses an und fordert neue Spielregeln
für die Eurozone. „Deutsche Politiker sprechen ständig über
Haushaltsdefizite und Schuldenquoten anderer Länder. Aber über ihren
eigenen Handelsüberschuss reden sie nicht – obwohl ihr Übergewicht
dazu beiträgt, dass wir anderen Staaten ein Handelsdefizit haben“,
sagt Lorenzo Fioramonti, der Wirtschaftsberater von
Vize-Premierminister Luigi di Maio, im Interview mit dem
Wirtschaftsmagazin –Capital– (Ausgabe 7/2018, EVT 21. Juni). „Stellen
Sie sich Europa wie eine Familie bei Tisch vor. Wenn ein Kind zu viel
isst, kriegen die andern nicht genug. Deutschland muss anerkennen,
dass es nicht den Rest Europas mobben kann.“ Die Eurozone brauche
dringen strukturelle Reformen.
Der 41jährige Wirtschaftsprofessor Fioramonti gilt als
ökonomischer Vordenker der Fünf-Sterne-Bewegung, der stärksten
Fraktion im italienischen Parlament und Seniorpartner in der neuen
Koalitionsregierung mit der rechten Lega. Im –Capital—Interview
wirft Fioramonti der Bundesregierung vor, jede Reformdiskussion über
den Euro im Keim zu ersticken. „Wenn Ungarns Regierung Migranten
schlecht behandelt oder demokratische Institutionen angreift, sagt
Deutschland nichts. Aber sobald jemand eine Debatte über einen
Pfeiler der Eurozone eröffnet, auf dem Deutschlands wirtschaftlicher
Erfolg beruht, dann ist das für Berlin nicht akzeptabel.“
Der Euro sei nicht per se ein Problem, sagte Fioramonti,
allerdings seien Reformen überfällig. „Wir Italiener sind ja nicht
die Einzigen: Griechenland, Zypern, Spanien, Portugal, seit
mindestens zehn Jahren rufen Länder überall in der Eurozone nach
Veränderung.“ Auch Frankreichs Präsident Emmanuel Macron fordere eine
Bankenunion und eine gemeinsame Lastenteilung. „Deutschland hingegen
sagt immer nur Nein“, so Fioramonti, der selbst mit einer Deutschen
verheiratet ist.
Fioramonti kündigte an, Italien werde sich mit anderen
Euromitgliedern für neue Strukturen der Eurozone einsetzten – unter
anderem für ein flexibleres Management- und Kontrollsystem der
Gemeinschaftswährung. „Wir werden die jetzigen Regeln respektieren.
Aber wir werden auch zusammen mit anderen Staaten daran arbeiten,
dass die Regeln neu verhandelt werden. Der Euro ist nicht von Gott
festgelegt.“
Den Austritt Italiens aus der Gemeinschaftswährung schloss
Fioramonti aus. „Wir sind und bleiben im Euro. Klar ist aber auch:
Eine Ehe läuft nur dann gut, wenn alle etwas davon haben. Wenn der
Euro mehr sein soll als eine Zweckehe, dann müssen wir gemeinsam
daran arbeiten, dass sich alle wohlfühlen.“
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