Der Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion
Volker Kauder befasst sich in einem gestern veröffentlichten
Namensbeitrag der Online-Ausgabe der Zeitschrift „Internationale
Politik“ (https://zeitschrift-ip.dgap.org/de/) mit den Konsequenzen
aus der Euro-Schuldenkrise. Darin fordert er auch eine Stärkung der
Parlamente in der Europäischen Union. Der Beitrag hat folgenden
Wortlaut:
„Europa der Parlamente
Wie wir die EU stärker und für ihre Bürger attraktiver machen
können „Die Euro-Schuldenkrise hat es offengelegt: Die Europäische
Union leidet unter erheblichen politischen, wirtschaftlichen und
strukturellen Defiziten. Die Politik in Europa steht vor der größten
Herausforderung seit dem Fall des Eisernen Vorhangs. Es geht um nicht
weniger als darum, eine neue Idee von Europa zu entwickeln und das
Verhältnis zwischen Nationalstaaten und EU neu auszubalancieren.
Nicht weniger, mehr Europa ist die richtige Antwort auf die Krise.
Die weitere politische Integration ist dabei jedoch kein Selbstzweck,
sondern dient der Sicherung unseres Wohlstands in Deutschland und im
gesamten Währungsraum. Unsere gemeinsame Währung braucht eine streng
kontrollierte Haushalts- und Finanzpolitik, flankiert von einer
koordinierten Wirtschaftspolitik.
Der Euro ist die einzige Währung auf der Welt, der kein
einheitlicher Finanz- und Wirtschaftsraum gegenübersteht. Unser Ziel
muss es sein, dass sich alle Mitgliedstaaten zu einer
Stabilitätskultur verpflichten, wie wir sie unter anderem in
Deutschland kennen. Gesunde Haushalte und Wettbewerbsfähigkeit sind
Bedingungen für einen langfristig stabilen Euro. Die Einhaltung
strikter haushaltspolitischer Regeln muss künftig von den
europäischen Institutionen konsequent kontrolliert, deren Verletzung
auch sanktioniert werden.
Wir müssen hier noch weiter gehen als bisher. Seit diesem Jahr
legen die Regierungen die nationalen Haushalte der EU-Kommission vor,
die dann aber nur unverbindliche Empfehlungen abgeben kann. Wir
brauchen hier mehr Verbindlichkeit und Kontrolle. Staaten, die sich
nicht an die Regeln der Haushaltsdisziplin halten, müssen künftig vor
dem Europäischen Gerichtshof verklagt werden können. Es muss eine
europarechtlich verbindliche Schuldenbremse für alle Mitgliedstaaten
eingeführt werden. Nationale Schuldenbremsen sind nur ein erster,
wenn auch wichtiger Schritt in diese Richtung. Europa muss um seiner
Zukunft willen zu einer Stabilitätsunion werden.
Maßstab für die notwendigen Angleichungen in der Wirtschafts- und
Finanzpolitik können nur die Staaten sein, deren Wirtschaft sich in
den letzten Jahren erfolgreich im internationalen Wettbewerb
behauptet hat. Also müssen wir die Situation in den einzelnen
Mitgliedstaaten im Blick behalten. Denn man stärkt die Schwachen
nicht, indem man die Starken schwächt. Genau dies wäre aber bei
Euro-Bonds der Fall. Auf absehbare Zeit bilden sie keinen tragfähigen
Ansatz zur Lösung der Probleme, weil sie jede Stabilitätspolitik
untergraben. Die Anreize für dringend erforderliche Reformen in
krisengeplagten Staaten fielen weg, wenn wir die Schulden auf diese
Weise sozialisieren würden. Euro-Bonds verstärken das Schuldenproblem
nur.
Brüssel und die Vogelschutzgebiete
Auch das erneuerte Europa muss sich beschränken. Die
Nationalstaaten haben eine Zukunft. Sie werden den Menschen auch
künftig Heimat sein. Es muss daher eine neue Balance in der
Kompetenzverteilung zwischen der EU und den Mitgliedstaaten gefunden
werden. Denn Europa muss sich um die wirklich wichtigen Fragen wie
die Euro-Stabilität kümmern, nicht aber um jedes Vogelschutzgebiet.
Daher müssen wir dem Subsidiaritätsprinzip seine volle Wirkung
verleihen. So machen wir Europa in den entscheidenden Fragen
handlungsfähiger.
Natürlich bedürfen alle Entscheidungen hin zu diesem neuen Europa
einer engen Rückkopplung mit den nationalen Parlamenten, aber auch
mit dem Europäischen Parlament. Entscheidungen wurden vor allem in
jüngerer Zeit vermehrt von den Staats- und Regierungschefs getroffen,
unter anderem in Form von Selbstverpflichtungen oder Absprachen.
Der Bundestag hat hier selbst eine Kehrtwende eingeleitet. Das
Begleitgesetz zum Rettungsschirm EFSF sieht eine in Europafragen
bisher nie dagewesene Beteiligung des Bundestags vor. Im Grundsatz
braucht die Bundesregierung bei allen Entscheidungen im Zusammenhang
mit dem EFSF ein Mandat des Parlaments oder seiner Gremien.
Damit wird die Bundesregierung nicht an eine Kette gelegt. Das
Begleitgesetz ist schlicht Ausdruck der Überzeugung, dass bei allen
Entscheidungen mit Auswirkungen auf die Haushalte das Parlament das
letzte Wort haben muss. Das Haushaltsrecht darf nicht ausgehöhlt
werden. Auch das Bundesverfassungsgericht hat das zuletzt noch einmal
bestätigt.
Das parlamentarische Mandat des Bundestags schwächt dabei nicht
die deutsche Position in Brüssel, sondern stärkt ihre Legitimation.
Und wenn wir die Rechte des Parlaments berücksichtigen, können wir
dazu beitragen, die Qualität von Entscheidungen zu verbessern. Denn
eine solche beständige Rückkoppelung entschleunigt Verhandlungen auf
Regierungsebene zwangsläufig; eine Entschleunigung, die zu besserer
Abwägung führen kann. Über wichtige Fragen einmal mehr nachzudenken
hat noch nie geschadet.
Allerdings muss darauf geachtet werden, dass der
Parlamentsvorbehalt immer so ausgestaltet wird, dass die
Entscheidungen rechtzeitig fallen können. Hier ist der Bundestag
gefordert, sich ein vernünftiges Verfahren zu geben. Eilbedürftige
Entscheidungen müssen im Zweifelsfall auch vom Bundestag und seinen
Gremien rasch gefällt werden. Der Bundestag muss seine Arbeitsweise
diesen Erfordernissen anpassen. Grundsätzliche Fragen wird er dabei
im Plenum entscheiden müssen.
Dabei ist zu beachten, dass es Fälle geben wird, in denen die
Beratungen vertraulich bleiben müssen, um den finanzpolitischen
Maßnahmen nicht die Schlagkraft zu nehmen. Jeder denkbare
Anwendungsfall des Rettungsschirms wird in einem Spannungsverhältnis
zwischen dem Gebot der Transparenz und dem der Praktikabilität
stehen. Immer wieder muss dieses Verhältnis neu aufgelöst werden.
Brücke zum Bürger
Dem deutschen Parlamentsvorbehalt muss auch in Brüssel Rechnung
getragen werden. Heute müssen daher, anders als in der Vergangenheit,
Beschlussvorlagen für Gipfel zum Rettungsschirm weit rascher
vorliegen als in der Vergangenheit. Die EU- und
Eurozonen-Administration muss dabei stets bedenken, dass in
Deutschland vor Entscheidungen rund um den Rettungsschirm der
Bundestag befragt werden muss.
Die Parlamente sind aber nicht nur beim Rettungsschirm EFSF
gefragt. Sie müssen sich auch aktiv an der Diskussion über die
anstehenden weitergehenden Reformen beteiligen können. Nur dann wird
Europa auch wirklich ein Europa der Parlamente und nicht nur der
Regierungen.
Um den Reformprozess aktiv zu gestalten, müssen die nationalen
Parlamente noch enger zusammenarbeiten, so wie es seit 2009 die
europäischen Verträge vorsehen. Dazu dienen interparlamentarische
Konferenzen und Gremien, aber auch eine enge Zusammenarbeit der
Parteienfamilien in Europa. Wenn Europa ein Europa der Bürger sein
soll, müssen der Bundestag und die übrigen nationalen Parlamente hier
von Anfang an mitgestalten. Sie repräsentieren die Bürger und tragen
besondere Verantwortung, wenn es darum geht, Europa zu reformieren.
Europa muss für die Bürger stärker erlebbar sein. Daher sollten
wir auch über eine engere Verzahnung des Europäischen Parlaments mit
den nationalen Parlamenten nachdenken. Hier ist etwa an regelmäßige
gemeinsame Sitzungen der Präsidien oder von Ausschüssen des
Bundestags und des Europaparlaments zu denken, so wie es heute schon
gelegentlich praktiziert wird.
Gleichzeitig sind alle europäischen Institutionen aufgefordert,
sich stärker den Bürgern in den einzelnen Mitgliedstaaten zu öffnen,
ihnen ihre Arbeit und die Europäische Union zu vermitteln, zum
Beispiel durch Veranstaltungen vor Ort in Schulen oder in anderen
öffentlichen Einrichtungen. Bei der Vermittlung Europas kommt den
nationalen Parlamenten und jedem einzelnen Parlamentarier eine
besondere Verantwortung zu. Sie bilden die Brücke zum Bürger, indem
sie europapolitische Entwicklungen erläutern und umgekehrt den
Wählerwillen in die europapolitischen Prozesse einbringen.
Es sind jetzt Mut und Tatkraft gefordert, Europa und die
europäischen Verträge fortzuentwickeln und europäische Visionen neu
zu beleben. Europa ist unsere Antwort auf eine Welt, in der sich die
Gewichte verschieben, in der Staaten mit anderen politischen,
wirtschaftlichen und sozialen Ordnungen an Macht gewinnen. Gemeinsam
ist Europa in diesem Wettbewerb stärker. Nur eine geeinte europäische
Politik kann unsere Werteordnung und unsere Antworten auf
weltumspannende Probleme wie Klimaschutz, Migration oder
Energiesicherheit erfolgreich vertreten. Nur indem wir unsere
Kompetenzen zusammenbringen, wahren wir unseren Einfluss. Deutschland
braucht ein stärkeres Europa. Auch, damit es uns in Deutschland
weiter gut gehen kann.“
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