Der beschleunigte Ausstieg aus der Kohleverstromung bis 2038
kostet inklusive Strukturwandelhilfen, Entschädigungen für die Unternehmen,
Vorruhestandsgeldern und strompreisdämpfender Staatshilfen annähernd 100 Mrd.
Euro. Das Geld ist vermutlich gut angelegt. Das Mammutprojekt soll die
Erderwärmung bremsen. Es läge nahe, dass in den Verhandlungen über den genauen
Fahrplan die Frage im Vordergrund steht, wie mit einem bestimmten Aufwand
möglichst viel CO2 eingespart wird – oder wie eine bestimmte Menge CO2 mit
möglichst wenig Aufwand eingespart wird.
Beides scheint kaum noch jemanden zu interessieren. Stattdessen entwickeln sich
die Verhandlungen auf den letzten Metern im Kanzleramt zu einer kleinkarierten
Neuauflage des deutschen Ost-West-Konflikts. Sachsen-Anhalts Ministerpräsident
Reiner Haseloff verweigerte dabei jeglichen Beitrag seines Bundeslandes, obwohl
der Löwenanteil der abzuschaltenden Braunkohlekraftwerkskapazität, die bis Ende
2022 vom Netz gehen soll, ohnehin schon von RWE mit 2,5 Gigawatt im Rheinischen
Revier beigesteuert wird. Mindestens 0,5 Gigawatt müssen nach den Vorgaben der
Kohlekommission allerdings noch zusätzlich vom Netz gehen. Ins Auge gefasst
wurde dafür Schkopau in Sachsen-Anhalt. Dies war aber nach wie vor strittig. In
Rede steht auch eine Umrüstung von Schkopau auf Gas. Im Gegenzug könnte
Betreiber Uniper das hochmoderne Steinkohlekraftwerk Datteln in NRW in Betrieb
nehmen, das praktisch fertiggestellt ist.
Haseloff pocht darauf, dass es im Osten wie zunächst angepeilt in der ersten
Runde bis Ende 2022 keine Braunkohle-Schließungen geben soll. Angesichts der
schon beschlossenen Strukturwandelhilfen des Bundes über 40 Mrd. Euro, mit denen
auch in Sachsen-Anhalt neue Straßen und Schienen sowie Arbeitsplätze geschaffen
werden, scheint Haseloffs Querschießen recht maßlos. Ebenso wie bei der
Braunkohle wird voraussichtlich auch bei der Steinkohle der Löwenanteil der
ersten Schließungsrunde im Westen getragen – und zwar im Ruhrgebiet, das wohl
als ebenso strukturschwach wie Sachsen-Anhalt gelten darf. Vor allem den
kommunalen Energiekonzern Steag trifft es dort.
Geld sollte nicht an denjenigen fließen, der am lautesten schreit. Es gibt außer
der Energieindustrie auch noch andere Branchen mit strukturellen Schwierigkeiten
wie die Autoindustrie. Alles abzufedern kann teuer werden – und ein Klimaschutz,
der ineffizient vorangetrieben wird, wäre ein schlechtes Vorbild für weniger
wohlhabende Länder.
(Börsen-Zeitung, 16.01.2020)
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