Kölnische Rundschau: zu Brexit-Verhandlungen

Kleinbritannien

Raimund Neuß zu den Brexit-Verhandlungen

Eisen mag hart sein, aber es lässt sich einschmelzen. Das müssen
die Briten am Beispiel der ehedem als neue Eiserne Lady gefeierten
Theresa May lernen. Der Dame ist es offensichtlich zu heiß geworden.
Sie macht Anstalten, die Vorbedingungen der EU für ein
Brexit-Abkommen zu akzeptieren: 45 bis 55 Millionen Pfund muss ihr
Land wohl bezahlen, nur um hernach schlechter dazustehen als jetzt.
Über kurz oder lang wird sie auch hinnehmen müssen, dass EU-Bürger in
Großbritannien ihre Rechte vor dem Europäischen Gerichtshof einklagen
können. Und dass eine offene Grenze in Irland Voraussetzung für jedes
denkbare Handelsabkommen ist. Als Belohnung winkt eine
Übergangsregelung, deren Grundzüge Brüssel schon festgelegt hat:
Großbritannien hat EU-Standards zu akzeptieren, ohne sie künftig noch
beeinflussen zu können.

Großbritannien? Was da übrig bleiben wird, haben kluge Beobachter
schon im Sommer beschrieben: Kleinbritannien. Ein souveränes Imperium
hatten die Brexit-Propagandisten dem Stimmvolk versprochen und sich
bei den Größenverhältnissen übel verschätzt. Die EU ist mit oder ohne
Briten ein Machtblock, der auf Augenhöhe mit den USA und China
spricht. London war in diesem Block bisher einer der größten, der
bestimmenden Partner. Jetzt steht ein mittelprächtiger Drittstaat
dieser immer noch achtmal so großen Union gegenüber. Kleinbritannien
eben.

Alle Versuche, die Solidargemeinschaft der EU zu sprengen, sind
gescheitert. Für jeden einzelnen der verbleibenden EU-Partner, selbst
für Irland, ist die Gemeinschaft mit den übrigen 26 politisch und
wirtschaftlich wichtiger als die Beziehung zu Theresa Mays
bröckelndem Reich. Und bei allen Sorgen über Brexit-Schäden auch für
die restliche EU überwiegt das Interesse an der Integrität des
Binnenmarktes.

Was ist daraus zu lernen? Drei Punkte. Erstens: Das Bonmot vom
Starken, der am mächtigsten alleine sei, wurde ja schon vom Autor
Friedrich Schiller nicht ernst genommen und stimmt heute erst recht
nicht. Internationaler Einfluss, wirksame Interessenvertretung
wachsen aus Kooperationen. Wer sich daraus verabschiedet, wer
gegenüber der EU einen Status wählt, der weniger wert ist als selbst
derjenige der Türkei, dessen Stärke schmilzt so schnell wie die
eiserne Rüstung der Brexit-Lady.

Zweitens: Es ist brandgefährlich, aus antieuropäischen
Ressentiments innenpolitisches Kapital schlagen zu wollen. Und
drittens: Solcher Populismus ist auch nicht demokratisch. Nach dem
harten oder weichen Brexit wurde im Referendum gar nicht gefragt.
Allenfalls ein Drittel der Briten will den harten Schnitt, aber nur
dieses Drittel zählt noch. Dieser Radikalismus ist angeblich der
Volkswille, der anders als in einer Demokratie üblich keine Revision
zulässt. So werden eine ganze Volkswirtschaft und die fragile
Verständigung in Nordirland ruiniert. Fahr dahin, Kleinbritannien.

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