Landeszeitung Lüneburg: „Husarenstück“ in letzter Minute – Hamburger Klimaökonom Prof. Dr. Reimnud Schwarze lobt Ergennisse der Konferenz im mexikanischen Cancun

Gute Absichten und finanzielle Hilfen für die
armen Länder, jedoch noch keine verbindlichen Zusagen zur
Emissionsminderung — das ist das Ergebnis des Gipfels von Cancún.
Der Klima“ökonom Prof. Dr. Reimund Schwarze vom Helmholtz-Zentrum für
Umweltforschung hat an der Konferenz in Mexiko teilgenommen und
wertet den Kompromiss als Erfolg. Vor allem bei den rechtlichen und
politische Grundlagen für Verhandlungen sei man ein großes Stück
vorangekommen.

Viel Lob für den Klimagipfel: Cancún hat alle Erwartungen
übertroffen — das war nicht so schwer…

Prof. Dr. Reimund Schwarze: Ja, weil die Erwartungen niedrig
gehängt waren.

Auch Sie haben sich bis zuletzt skeptisch geäußert. Was war für
Sie die größte Überraschung der Konferenz?

Schwarze: Ich war überrascht, dass in allerletzter Minute doch
noch ein Gesamtpaket vorgelegt wurde. Das war nicht von Anfang an
geplant. In der ersten Konferenzwoche ging es zunächst nur um ein
Bündel von Einzelmaßnahmen. Die Messlatte wurde also auf halber
Strecke höher gelegt. Was aber auch daran lag, dass einige Länder,
insbesondere die USA, nicht bereit waren, einzelne Elemente aus den
Verhandlungen herauszulösen. In Kopenhagen dagegen lagen die ersten
Dokumente der Präsidentschaft schon in der ersten Woche auf dem
Tisch, was bekanntlich dazu geführt hat, dass einige afrikanische
Staaten gleich abreisen wollten. Insofern war die Verhandlungsführung
in Cancún diplomatisch sehr geschickt.

Hoch gelobt wird die mexikanische Konferenzleitung. Worin sehen
Sie das Verdienst von Außenministerin Patricia Espinosa?

Schwarze: Die Verhandlungsführung hat sich zu diesem sehr mutigen
Schritt entschieden, der auch daneben hätte gehen können. Hinzu kam
eine klare Definition der Aufgabe und am Ende auch Entschiedenheit in
der Durchsetzung.

Der Uno-Prozess zumindest scheint gerettet – was aber sind die
konkreten Klimaschutz-Beschlüsse zu den tropischen Wäldern und zum
Anpassungsfonds wert?

Schwarze: Für Cancún wurden vier Marksteine gesetzt: Erstens
sollten die freiwillligen Zusagen des Kopenhagen-Abkommens
„verfestigt werden“, wie Umweltminister Röttgen es formuliert hat.
Zweitens sollte der Waldschutz verankert werden, drittens sollten auf
schnellem Wege Finanzmittel — sogenannte „fast-track-finance“ –
bereitgestellt werden, und diese sollten viertens eingebettet sein in
eine institutionelle Architektur zur Verbesserung der Anpassung an
den Klimawandel und des Technologietransfers. Diese Vorgaben wurden
übertroffen: Die Erhöhung des Anpassungsfonds bis zum Jahr 2020 auf
100 Milliarden Dollar ist von einer vagen Absichtserklärung aus
Kopenhagen zu einem ausdrücklichen Beschluss geworden. Würde dies
umgesetzt, entspräche dies de facto einer Verdoppelung der weltweiten
Entwicklungshilfe.

Beim Klimaschutz wurden die freiwilligen Ziele von Kopenhagen
verankert. Hier gibt es allerdings nun ein ganz neues System, in dem
Länder in unterschiedlichem Tempo marschieren. Die Länder des
Kyoto-Protokolls sind aufgefordert, ihre Emissionen im Vergleich zu
1990 um 25 bis 40 Prozent zu verringern. Das wäre eine Verdoppelung
Ihrer Zusagen von Kopenhagen. Für die Nicht-Unterzeichner-Staaten wie
die USA gelten dagegen weniger klare Vorgaben.

Besteht bei den Beschlüssen zum Waldschutz nicht die Gefahr, dass
bestehende Biotope gerodet werden und an deren Stelle riesige
Monokulturen entstehen, die weniger CO2 binden?

Schwarze: Nein. Das Programm REDD+ (Reducing Emissions from
Deforestation and Forest Degradation) steht für die Einbettung von
Waldschutzprojekten in nationale Forstprogramme, für den Schutz der
Biodiversität und die Rechte indigener Völker. Das ist eine große
soziale Transformation in den Tropenwaldländern, dabei geht es nicht
vorrangig um die Bindung von Kohlenstoffen im Wald. Dennoch darf auch
REDD+ nicht zum zentralen Baustein der Klimaschutzpolitik werden.
Wichtig ist vor allem, den Verbrauch fossiler Brennstoffe in den
Industrie- und Schwellenländern wie China und Indien in den Griff zu
bekommen.

Die 100 Milliarden US-Dollar des Anpassungsfonds werden zum Teil
mit anderen Hilfsprojekten und Krediten verrechnet. Ist das nicht
eine große Mogelpackung?

Schwarze: Der Beschluss erlaubt verschiedene Wege, wie diese
Mittel zu erbringen sind. Es geht nicht nur um direkte Transfers,
sondern ausdrücklich auch um Kredite und auch privates Kapital, also
um Marktmechanismen. Diese Zusagen sind zweifellos ein Fortschritt
gegenüber Kopenhagen, aber ob diese Zusagen eingehalten werden bis
2020, ist in der Tat offen. In den vergangenen Jahrzehnten waren es
leider nur die skandinavischen Länder, die ihre Versprechen für
Hilfsleis“tungen auch umgesetzt haben. Alle anderen Staaten – das
gilt auch für Deutschland — haben ihre Millennium-Zusagen bis heute
nicht erfüllt.

Bleiben wir beim Geld: Wie sehr schaden die Wirtschafts- und
Währungskrise den Klimaschutzbemühungen?

Schwarze: Die Krise trifft die einzelnen Länder recht
unterschiedlich. Deshalb sind etwa die USA grundsätzlich nicht mehr
bereit, auch nur einen Schritt weiter zu gehen, als die zugesagte
CO2-Minderung um vier Prozent. Ich glaube aber, insgesamt wird dieser
Zusammenhang überschätzt.

„Klimakanzlerin“ Angela Merkel und die EU beanspruchen eine
Führungsrolle beim Klimaschutz. Wie bewerten Sie die Rolle Europas in
Cancún?

Schwarze: Europa hat die Führungsrolle beim Klimaschutz schon in
Kopenhagen verloren. Das hat sich auch in Cancún wieder gezeigt. Die
wichtigeren Akteure waren China und neuerdings auch die erstarkten
lateinamerikanischen Länder. Die EU ist geschwächt durch die innere
Uneinigkeit. Die „Klimakanzlerin“, die noch im Mai gemeinsam mit dem
mexikanischen Präsidenten Felipe Calderón den Petersberger Dialog
angestoßen hat – und dann nicht zu der Konferenz gekommen ist,
scheint abgerückt zu sein von der Position, hier eine zentrale
Führungsfigur sein zu wollen.

Ein wichtiger Akteur in Cancún war auch Bolivien, dessen
Uno-Botschafter Pablo Solón den Klimakompromiss blockieren wollte und
nun mit einer Klage droht. Ist Solón der große Spielverderber oder
der wahre Klimaschützer?

Schwarze: Wenn ich nur zwischen den beiden Alternativen zu wählen
habe, würde ich sagen, er ist der große Spielverderber. Die
Obstruktion ging durch die gesamten Verhandlungen. Offenbar gab es
zuvor schon eine politische Richtlinie. Bolivien zeigte sich auch
völlig resistent gegenüber der Einwirkung selbst befreundeter
lateinamerikanischer Staaten wie Venezuela. Häufig zeichneten sich
die bolivianischen Interventionen auch durch Unkenntnis der Texte und
der rechtlichen Positionen aus. Bei dem Votum über Dokumente, die
nicht unmittelbar völkerrechtlich bindend sind, sondern politische
Zwischenschritte zu einem Abkommen in Durban sind, gibt es innerhalb
der COP (Conferences of the Parties/Weltklimakonferenz) keinen
Abstimmungsmodus. Die Einstimmigkeit ist dafür nicht nötig, Frau
Espinosa handelte auf sicherem Grund.

Cancún hat das Vertrauen in die Institution UN gestärkt. Aber ist
das überhaupt der richtige Rahmen? Sind regionale Initiativen wie der
Emissionshandel nach EU-Vorbild nicht wirkungsvoller?

Schwarze: Es wird ohne diese Anstöße sicher nicht gehen. Wenn wir
die entscheidenden Fortschritte von Cancún nehmen, dann sind das
Schritte, die zuallererst im Rahmen der G8 beziehungsweise G20
gefallen sind. Die entscheidenden Triebkräfte für die Fortentwicklung
des UN-Prozesses kommen von außerhalb, aus kleineren Zirkeln.

Cancún war ein Erfolg, weil viele Fragen offen geblieben sind. Wie
stehen die Chancen, dass es 2012 in Durban konkret und verbindlich
wird mit der CO2-Minderung?

Schwarze: Zuerst zu Ihrem Befund. Der Schlüssel zu dem
Husarenstück, das wir am Ende noch erlebt und wirklich nicht erwartet
haben, auch unser Bundesumweltminister nicht, lag in der großen
Unklarheit bezüglich dessen, was da gerade im Einzelnen abgestimmt
würde. Und sie besteht bis heute. Das sehen wir in der
Widersprüchlichkeit der Beurteilung der Ergebnisse. Wenn sich die
Lage aufklärt, und das wird sie natürlich in den nächsten Wochen und
Monaten, werden wir aus meiner Sicht vielleicht keine politischen
Nachbeben, aber doch politische Nachspiele erleben. Ich erwarte, dass
es in einigen Ländern, etwa in Japan, aber auch in der EU, noch eine
intensive Diskussion über die Frage geben wird, ob man diese Zusagen
von Cancún in Durban unterschreiben kann. Wir sind, was die
rechtliche und politische Grundlage für Verhandlungen angeht, sicher
ein großes Stück vorangekommen: Wir haben ein Spielfeld, auf dem wir
uns bewegen können. Aber wir sind noch lange nicht am Ziel.

Das Gespräch führte

Klaus Bohlmann

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