Christian Wulff ist in einer komfortablen Lage:
Wer sich so ins Amt des Bundespräsidenten zittern musste wie der
51-jährige Niedersachse, für den kann es nur besser werden. Das umso
mehr, als Wulff auch nicht gerade mit Vorschusslorbeeren bedacht
wurde. Die Mehrheit der Bevölkerung hätte lieber Joachim Gauck im
Schloss Bellevue gesehen. Um den populären Mitkonkurrenten rankten
sich freilich hohe Erwartungen, um nicht zu sagen, Illusionen, die
leicht in Enttäuschung hätten umschlagen können. Auch hier ist Wulff
besser dran. Die meisten verbinden mit ihm weder Positives noch, was
vielleicht wichtiger ist, Negatives. Die Skepsis bei Wulff besteht
darin, dass er bis eben noch Parteipolitik gemacht hat und nun auf
Präsidialpolitik umschalten soll. Kann das gut gehen? Angela Merkel
hat Wulff durchgesetzt, weil sie darin den größten anzunehmenden
Vorteil für ihre Machtabsicherung sah – und weil sie nach der
bitteren Erfahrung mit Horst Köhler Ruhe im Bundespräsidialamt haben
wollte. Zweifellos ist Wulff als niedersächsischer Ministerpräsident
nicht durch Anstößigkeiten oder gar Fehler aufgefallen. Aber braucht
es an der Spitze des Staates nicht eine Persönlichkeit mit Ecken und
Kanten? Eine, die, so will es das Grundgesetz, zwar keine Macht
besitzt, aber die Kraft des Wortes zu Nachdenklichkeit und auch
Anstößigkeit nutzt? Hier muss sich Wulff noch profilieren. In seiner
kurzen Antrittsrede gestern im Bundestag hat er skizziert, was ihn
beschäftigt. Eine originelle Idee oder gar ein streitbarer Ansatz war
nicht dabei, sieht man einmal von seinem Bekenntnis ab, die Parteien
seien „viel besser als ihr Ruf“. Damit setzte sich Wulff deutlich von
seinem Vorgänger Horst Köhler ab, dessen Popularität im Volk gerade
auf der selbst erklärten Distanz zu den Parteien beruhte. Ansonsten
war es der Versuch, es allen recht zu machen. Nachhaltige politische
Akzente lassen sich kaum setzen. Horst Köhler hatte bei seinem
Amtsantritt angekündigt, notfalls auch unbequem zu sein. Dieses
Versprechen hat er in einer Weise eingelöst, die wohl niemand für
möglich gehalten hätte. Zum ersten Mal in der bundesdeutschen
Geschichte warf ein Bundespräsident vorzeitig das Handtuch. Das war
eine Flucht vor Kritik. Solche Kurzschlussreaktionen sind von Wulff
nicht zu erwarten. Dazu ist er Polit-Profi genug. Auch sollte keiner
seine Beharrlichkeit unterschätzen. Schon für das Amt des
niedersächsischen Regierungschefs hatte Wulff dreimal Anlauf
genommen, bis es klappte. Standhaft ist er. Für das Amt des ersten
Mannes im Staat sind solche Tugenden zu wenig. In Zeiten der Krise
und einer wachsenden sozialen Zerklüftung im Land gehören sie aber
dazu.
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