Der amtierende Kommandeur der ISAF-Truppen im
Norden Afghanistans, Dirk Backes, rechnet mit der Gefahr weiterer
Infiltration der afghanischen Sicherheitskräfte und in der Folge mit
neuerlichen Anschlagsversuchen auch gegen führende ISAF- und
Bundeswehrkommandeure in Afghanistan. Backes, der derzeit den nach
einem Anschlag verletzten alliierten Nord-Kommandeur Markus Kneip
vertritt, sagte der „Leipziger Volkszeitung“ (Dienstag-Ausgabe) in
Mazar-i-Sharif: „Diejenigen Kräfte, die den Staatsaufbau in
Afghanistan gezielt stören wollen, haben in letzter Zeit ihre Technik
zunehmend ausgefeilt.“ Es komme immer weniger zu direkten Kämpfen,
dafür zu mehr intelligenteren Sprengfallen-Anschlägen. „Zudem müssen
wir mit mehr Infiltration rechnen“, sagte Brigadegeneral Backes.
Angesichts der zwei jüngsten Anschläge auf führende Kommandeure
der Bundeswehr im Norden Afghanistan meinte Backes: „Bei den
Anschlägen durch Infiltration messen die Angreifer verstärkt der
höherrangigen Wahl ihres Zieles Bedeutung zu.“
Backes lobte in dem Gespräch ausdrücklich den Auftritt des
Bundesverteidigungsministers Thomas de Maizière (CDU) vom
vergangenen Freitag bei den Soldaten in Mazar-i-Sharif. „Der Besuch
ohne mitgereiste Politiker und Presse ermöglichte Gespräche zwischen
Minister und Soldaten in einer Tiefe und Intensität, die sonst nicht
erreicht wird.“ De Maizière habe sich bei der versprochenen
Vorstellung der Bundeswehrreform „als Mann des offenen Wortes
ausgesprochen positiv“ in Szene gesetzt. Die Stimmung der Soldaten
sei sehr positiv.
Soldaten, die in Mazar-i-Sharif stationiert sind, äußerten dagegen
gegenüber der „Leipziger Volkszeitung“ (Dienstag-Ausgabe) tiefe
Frustration über den Afghanistan-Einsatz und große Enttäuschung über
den Minister-Auftritt hinter geschlossenen Türen. Ein
Bundesswehrsoldat, der seit Beginn der Bundeswehr-Aktivitäten 2002
jedes Jahr in Afghanistan im Einsatz war, meinte gegenüber der
Zeitung: „Die Stimmung in der Truppe zu diesem Einsatz wird immer
schlechter. Immer mehr, die voller Elan und Hoffnung nach Afghanistan
gekommen sind, kommen zu dem Ergebnis: Es macht keinen Sinn mehr.“
Dies habe mit mangelnden dauerhaften Erfolgen und mit den
überstürzten Abzugsplänen für 2014 zu tun.“ Ein anderer Soldat
berichtete von „wachsendem Druck der Angehörigen“, angesichts der
unsichereren Lage nicht mehr auf die gefährlichen Patrouillen
außerhalb der Bundeswehrlager zu gehen. Viele Soldaten würden „mit
diesem Druck kaum noch fertig“. Aber alle bekämen von ihren
Vorgesetzten unveränderten Druck, immer wieder die gleichen
gefährlichen Routen zu befahren, „obwohl gesagt wird, dass wir
sowieso 2014 abziehen“.
Dem Bundesverteidigungsminister de Maizière wird zwar zugestanden,
„dass ihm offenbar nicht wirklich gesagt wird, wie mies die Stimmung
in der Truppe tatsächlich ist“. Aber angesichts der zahlreichen
schweren Opfer unter den Bundeswehrsoldaten in letzter Zeit habe es
am vergangenen Freitag „wie Hohn gewirkt“, dass de Maizière den
Soldaten auf Berichtsgrundlage derer, „die in den schönen
vollklimatisierten Räumen sitzen“ gesagt habe, er solle sie schön
grüßen vom General Kneip aus Koblenz. „Die in den Anzügen und aus den
gekühlten Räumen haben doch keine Ahnung davon, was hier wirklich los
ist“, meinte ein Mannschaftsdienstgrad. Im Vergleich zu Amtsvorgänger
Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) sei de Maizière in Mazir-i-Sharif
mit seinen Erklärungen zur Bundeswehrreform „kalt und nüchtern rüber
gekommen“.
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