Die Ankündigungen vor zwei Jahren klangen ehrgeizig
und weckten bei westlichen Beobachtern die Hoffnung auf eine weitere
wirtschaftliche und gesellschaftliche Öffnung Chinas: Dem Markt eine
„entscheidende Rolle“ einräumen, unrentable Staatsunternehmen
effizienter machen, Korruption in Staat und Partei bekämpfen und mehr
Transparenz im Justiz- und Staatsapparat erreichen. So lauteten
zentrale Beschlüsse des Dritten Plenums des 18. Zentralkomitees der
Kommunistischen Partei Chinas (KPC) am 12. November 2013.
Zwei Jahre nach der entscheidenden Tagung unter Führung von
Parteichef Xi Jinping ziehen Sandra Heep und Matthias Stepan,
Programmleiter am Mercator Institute for China Studies (MERICS), eine
Zwischenbilanz. Ihr Fazit: Parteichef Xi Jinping hat nicht nur seine
Machtbasis gefestigt, sondern auch klar gemacht, wohin er das Land
steuern will. Gleichzeitig hat die KPC unter seiner Führung bereits
große Teile der Reformagenda umgesetzt. Die westliche Hoffnung auf
ein in vielerlei Hinsicht offeneres China wurde jedoch enttäuscht.
Machtposition gefestigt, Kontrolle ausgebaut – Parteichef Xi
derzeit fest im Sattel
Drei Jahre nach seinem Amtsantritt als KPC-Chef und zwei Jahre
nach dem Plenum hat Xi die Machstrukturen neu geordnet. Die Reformen
sollen offiziellen Vorgaben der chinesischen Führung zufolge erst bis
2020 abgeschlossen sein. Doch bereits jetzt wird deutlich: Xi ist
auch bei riskanten Vorhaben durchsetzungsfähig. So strich oder
vereinfachte die Zentralregierung im Zuge der Reformen rund 600
Genehmigungsverfahren – mitunter gegen den Widerstand der auf die
Gebühreneinnahmen angewiesenen Lokalbehörden. Das Ergebnis war ein
wahrer Gründungsboom: 2014 wurden 3,6 Millionen Firmen gegründet, ein
Anstieg von 46 Prozent gegenüber dem Vorjahr.
Hartnäckig und medienwirksam führt die Partei eine
Anti-Korruptionskampagne. Im vergangenen Jahr ermittelte die Zentrale
Disziplinarkommission gegen 232.000 Kader, davon 68 im Rang von
Vize-Ministern oder höher. Sogar für ihr Privatleben macht die Partei
den Kadern strenge Vorschriften. Trotz dieser Härten ist es Xi
gelungen, die Partei-Eliten auf das Reformvorhaben einzuschwören, an
das er sein politisches Schicksal geknüpft hat.
Flexibilität und Transparenz – Hand in Hand mit Überwachung und
Willkür
Im Justizbereich will die Partei das Vertrauen der Bürger
zurückgewinnen: In einigen Städten laufen bereits Experimente, wie
der Einfluss lokaler Parteifunktionäre auf Gerichte begrenzt werden
könnte. Die Zahl der mit der Todesstrafe geahndeten Straftaten wurde
von 55 auf 46 reduziert. Von einer Gewaltenteilung nach westlichem
Vorbild will die KPC jedoch weiter nichts wissen: Künftig entscheiden
übergeordnete Behörden auf Provinzebene über Gehälter und
Beförderungen von Richtern. Die vorübergehende Festnahme von 200
Menschenrechtsanwälten im Frühsommer 2015 zeigt, dass willkürliche
Zugriffe der Zentralmacht auf kritische Gesellschaftsgruppen weiter
an der Tagesordnung sind – auch wenn auf dem Papier Anwälte mehr
Rechte erhalten, etwa um Prozessakten einzusehen.
Grund zur Sorge haben die Nichtregierungsorganisationen. Nach
einem kürzlich bekannt gewordenen Beschluss sollen diese künftig noch
strenger überwacht werden, indem sie etwa Parteimitglieder
einstellen. Auch die Überwachung in den Sozialen Medien baut die
chinesische Führung stetig aus und begrenzt damit die Freiheiten
ihrer Bürger.
Wirtschaftsflaute und Verschuldung als Risiko – China bleibt
wackliger Partner
Auch bei den Wirtschaftsreformen fällt die Bilanz gemischt aus. Im
Bankensystem gehen sie zügig voran, im Oktober 2015 etwa schaffte
Chinas Notenbank PBOC die bislang geltenden Obergrenzen für
Einlagezinsen ab – ein Schritt, der den Wettbewerb zwischen Banken
ankurbeln könnte. Zeitgleich wurden neue Regeln für mehr Transparenz
in der staatlichen Haushaltsplanung erlassen. Einen immensen
Rückschritt für die Entwicklung der Kapitalmärkte bedeuteten die
staatlichen Interventionen nach den Abstürzen der chinesischen Börsen
im Sommer dieses Jahres. Äußerst schleppend verläuft auch die Reform
der Staatsunternehmen, die in China immer noch hunderte Millionen
Menschen beschäftigen, aber oft nicht wirtschaftlich arbeiten. Von
diesem Bereich dürfte auch in Zukunft kaum neuer Schwung für die
Konjunktur ausgehen. Die von ausländischen Beobachtern erhoffte
Privatisierungswelle ist ausgeblieben.
Wie das ehrgeizige Reformvorhaben der KPC weiter verläuft, hängt
von verschiedenen Faktoren ab: Sollten die derzeit sinkenden
Wachstumsraten und die wachsende Verschuldung Chinas eine Krise
auslösen, könnte das System nach innen mit mehr Unterdrückung, nach
außen mit Aggression reagieren. Sollten die Reformen Erfolg haben und
China der immer schwierigere Spagat zwischen effizienter Wirtschaft
und kontrollierter Gesellschaft gelingen, dürfte dies die Diskussion
um ein autoritäres Modell als mögliches Vorbild neu entfachen. Die
MERICS-Autoren schließen nicht zuletzt angesichts der schwelenden
Unzufriedenheit über die umfassende Kontrolle der Partei Rückschläge
im Reformprozess nicht aus: Für Deutschland und andere Staaten wird
China deshalb auf absehbare Zeit ein wackliger Partner bleiben.
Quellen:
MERICS China Monitor Nr. 27:
Mehr Markt nach den Regeln der Partei: Eine Zwischenbilanz der
Wirtschaftsreformen seit dem Dritten ZK-Plenum 2013, von Sandra Heep,
11. November 2015
MERICS China Monitor Nr. 28:
Zwei Jahre Umbau im Kontrollzentrum: Chinas Kommunistische Partei
verstärkt Zugriff auf das Justizsystem und gesellschaftliche Kräfte,
von Matthias Stepan; 11. November 2015
Das Mercator Institut für China Studien (MERICS)
Das Mercator Institut für China Studien (MERICS) ist ein
unabhängiges Forschungsinstitut mit Sitz in Berlin. MERICS betreibt
gegenwartsbezogene und praxisorientierte China-Forschung. MERICS
vermittelt Erkenntnisse und Analysen in die Öffentlichkeit hinein,
stellt Entscheidungsträgern aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft
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MERICS ist eine Initiative der Stiftung Mercator.
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