Von Ulrich Krökel
Erst Öl-Milliardär Michail Chodorkowski, dann die jungen
Musikerinnen von „Pussy Riot“, nun der Internet-Aktivist Alexei
Nawalny: Wladimir Putin hetzt jedem, der sich seiner Macht
widersetzt, die Staatsanwälte auf den Hals. Der russische Präsident
lässt Gegner am liebsten mit Hilfe von Schauprozessen aus dem Weg
räumen und sie in Straflagern unschädlich machen. Diese Willkürjustiz
ist nicht stalinistisch. Dazu fehlt Putin die Mordlust. Er eliminiert
seine Kritiker nur politisch. Aber das Herrschaftssystem des
ehemaligen KGB-Mannes ist im schlechtesten Sinne sowjetisch geprägt.
Es ist kaum ein Zufall, dass die Methode Putins in weiten Teilen der
ehemaligen UdSSR verbreitet und beliebt ist. Man denke nur an die
inhaftierte Julia Timoschenko in der Ukraine. Im diktatorisch
regierten Weißrussland fristen sogar Dutzende Oppositionelle ihr
Dasein in Arbeitslagern. Man muss bei all dem weder ehemalige
Oligarchen wie Chodorkowski und Timoschenko noch die Pussy-Punks, die
eine Kirche entweihten, oder auch Nawalny zu Helden stilisieren. Der
oppositionelle Blogger pflegt eine nationalistische Ideologie, die
ihn in Westeuropa zu einem politischen Rechtsaußen machen würde. Es
ist nicht einmal gesagt, dass die Vorwürfe gegen Nawalny jeder
Grundlage entbehren. Die politisch gesteuerte russische Justiz macht
es für Außenstehende unmöglich, Fakten von Fälschungen zu
unterscheiden. Fest steht, dass das Urteil gegen Nawalny bereits im
Vorfeld des Verfahrens gefällt und dem Richter vom Kreml diktiert
wurde. Der Internet-Aktivist hatte wie Chodorkowski politische
Ambitionen. Er wollte Bürgermeister in Moskau werden – eines der
wichtigsten Ämter im System Putin. Nawalny und Chodorkowski sind
deshalb ähnlich wie die Frauen von „Pussy Riot“ Opfer eines
Machtapparates mit totalitärem Anspruch geworden. Putin hat die Idee
der „gelenkten Demokratie“ längst hinter sich gelassen. Er hat es
nicht mehr nötig, noch irgendetwas mit hehren Worten zu verschleiern.
Womöglich fehlt ihm mit zunehmendem Alter auch der Wille dazu. Hinzu
kommen sehr individuelle Rachemotive, die ans Pathologische grenzen.
Putin kann Kritik an seiner Person kaum mehr ertragen. Ob aus diesem
Grund oder politischem Kalkül, klar ist: Der Kremlherrscher steuert
Russland auf eine offene Diktatur zu. Das wirft zu allem Überfluss
einen tiefen Schatten auf die Heldengeschichte des Prism-Enthüllers
Edward Snowden, der sich noch immer in Moskau aufhält. Das Drama um
sein Asyl ausgerechnet in Russland erinnert an einen Western, in dem
sich ein einsamer Streiter für Freiheit und Gerechtigkeit gegen
Heerscharen von schwarzen Sheriffs behauptet, um am Ende von einem
gewöhnlichen Banditen erschossen zu werden. Snowdens Verbleib in
einem Land, in dem Oppositionelle wie Nawalny willkürlich
eingekerkert werden, wird seinem Ruf auf Dauer Schaden zufügen. Die
spähsüchtige US-Regierung hat sich den PR-Gau, an dem sich Putin
genüsslich weidet, selbst zuzuschreiben. Gleichwohl bleibt es ein
Treppenwitz der Geschichte, wenn sich Putin-Vertraute wie Sergei
Naryschkin dank Snowden als Hüter der Menschenrechte aufspielen
können. Der amerikanische Whistleblower habe sich für die Rechte von
Millionen Menschen eingesetzt, lobte Naryschkin. In den USA drohe
Snowden die Todesstrafe. „Wir haben kein Recht, das zuzulassen.“ Was
für ein Hohn! Naryschkin ist Parlamentspräsident. Frei gewählt sind
die Abgeordneten der Duma nicht. Gegen die Fälschungen beim Urnengang
im Dezember 2011 gingen Hunderttausende auf die Straße. Es war
vergeblich. Freiheit – das hat das Urteil gegen Nawalny erneut
gezeigt – ist unter Putins Selbstherrschaft im Riesenreich Russland
längst zu einem Fremdwort geworden.
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