Mittelbayerische Zeitung: Bischof rückt an vordere Glaubensfront

Von Christine Schröpf

Knapp zehn Jahre lang war er ein Bischof, der polarisiert. Die
lautstarken Kritiker ließen manchmal vergessen, dass Gerhard Ludwig
Müller genauso überzeugte Fürsprecher hat. Der Wichtigste von ihnen,
Papst Benedikt XVI., hat ihn nun nach Rom an die Spitze der mächtigen
Glaubenskongregation berufen. Müller stellt dort als Glaubenshüter
Weichen für die Weltkirche mit ihren 1,1 Milliarden Gläubigen. Wie
energisch und konsequent er dabei vorgehen wird, hat er in Ostbayern
nicht nur bei der Reform der Laienräte vorexerziert. Die neue Aufgabe
hat weit größeres Konfliktpotenzial. Dem sanften, aber unbeirrbaren
Joseph Ratzinger – vor seiner Wahl zum Pontifex selbst 20 Jahre in
dieser Funktion – hatte das Amt den Spitznamen Gottes Rottweiler
eingebracht. Eine Bezeichnung, die nun rasch auf Müller übergehen
könnte. Wie hart der Gegenwind wird, beweisen die ersten Reaktionen.
In ihrem vernichtenden Urteil zeigen sich zwei Gruppen einig, die
sich ansonsten spinnefeind sind: In ungewöhnlicher Allianz werten
erzkonservative Piusbrüder und die kirchliche Demokratie fordernde
Laienverantwortung Regensburg Müllers Berufung als Bankrott-Erklärung
des Vatikan. Beide Seiten zeichnen seit Jahren ein düsteres Bild des
Oberhirten. Doch gerade damit liefern sie den Beweis, dass Müller bei
seinen Entscheidungen – möge man sie gutheißen oder nicht – auf
keinem Auge blind ist und nicht gezielt ein bevorzugtes Klientel
bedient. Ein simples Schwarz-Weiß-Schema genügt nicht zum Urteil über
den nun drittmächtigsten Mann im Vatikan. Müller passt in keine
Schublade. Er hat viele Facetten. In Regensburg hat er ein
bedeutendes Kapitel Diözesangeschichte geschrieben. Er machte das auf
der Deutschlandkarte davor vergleichsweise unbedeutende Bistum zu
einem der wichtigsten in Deutschland. Auf seine Initiative findet der
Katholikentag 2014 in Regensburg statt. In der alten Reichsstadt hat
er bereits den Papstbesuch 2006 als Gastgeber hervorragend
ausgerichtet. An Müllers fachlicher Qualifikation besteht kein
Zweifel. Als Dogmatiker ist er anerkannt, ebenso gilt er in
Ökumenefragen als hochkompetenter Experte. Der 64-Jährige ist
international ausgerichtet. Der streitbare Oberhirte hat sich dabei
zu keinem Zeitpunkt als Opportunist erwiesen. Seine Sympathie für die
südamerikanische Befreiungstheologie ist im Vatikan keineswegs
„Mainstream“. Aber auch im ganz traditionellen katholischen Polen
genießt Müller hohes Ansehen und wurde dort 2007 mit der
Ehrendoktorwürde ausgezeichnet. Papst Benedikt hatte viele gute
Gründe, den inhaltlich breit aufgestellten Kirchenmann zum Präfekten
der Glaubenskongregation zu ernennen. Für Müller ist es auch eine
persönliche Genugtuung. Bei wichtigen Ämterbesetzungen der
Vergangenheit in Rom und in Deutschland war er oft hoch gehandelt
worden, am Ende aber leer ausgegangen. So wurde statt seiner Reinhard
Marx zum Erzbischof von München-Freising berufen – eine Position, die
als Sprungbrett für den Vorsitz in der Deutschen Bischofskonferenz
gilt. Bedauerlich ist, dass Müller nun nicht mehr Gastgeber des
nächsten Katholikentags ist. Er hatte mit seiner Einladung an das
Zentralkomitee der deutschen Katholiken die Weichen für das
Großereignis gestellt. Kein anderes Bistum hatte sich bereit erklärt.
Ein Experiment mit Risiko. Wäre es dem manchmal rasch aufbrausenden
Bischof gelungen, ohne Eklat für ein friedliches Fest der
unterschiedlichsten katholischen Gruppierungen mitverantwortlich zu
zeichnen? Hätte er bewiesen, dass er in seiner Dekade in Regensburg
diplomatisches Geschick gelernt hat? Wäre er Kräften, die nicht
vatikankonform sind, mit Überzeugungskraft und nicht mit Sanktionen
begegnet? Dieses Meisterstück wird er nun in Rom abliefern müssen.
Auf einem Terrain mit vielen, vielen Minenfeldern.

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