Mittelbayerische Zeitung: Der Abgrund rechts von uns

Von Christian Kucznierz

Die Bundesregierung hat alles richtig gemacht. Endlich. Sie hat
sich entschuldigt bei den Hinterbliebenen der Opfer. Sie hat der
Trauer einen angemessenen Rahmen gegeben. Sie hat ein Signal
gesendet, dass der Staat sich ändern will, damit die Fehler der
Vergangenheit sich nicht wiederholen. Das ist wichtig und richtig.
Aber die Opfer der Zwickauer Zelle sind nicht die ersten Menschen,
die ideologischer Verblendung von rechts zum Opfer fallen. Und es
steht zu befürchten, dass sie nicht die letzten sein werden.
Deutschland hat nach rechts geschaut und in einen Abgrund geblickt.
Das Entsetzen darüber ist groß, nur vergisst man, dass es diesen
Abgrund schon immer gegeben hat. Nicht erst seit den Morden der
Zwickauer Zelle wissen wir, dass rechtes Gedankengut töten kann. In
den 1990er Jahren brannten Asylbewerberheime, wurden Menschen anderer
Hautfarbe gejagt wie Tiere, verprügelt, getreten, ermordet. Wir
kennen diesen Abgrund am rechten Rand unserer Gesellschaft. Wir
wollen ihn nur nicht wahrhaben. Das gilt für alle Bereiche unseres
Staates. Die Ermittlungsbehörden haben die Gewalt von rechts nicht
auf dem Schirm gehabt. Das hat Gründe. Einerseits berechtigte, weil
die Gefahr durch den internationalen Terror spätestens seit 2001
realer war als alle anderen Bedrohungen. Sie war sichtbar in den
einstürzenden Zwillingstürmen in New York, in blutüberströmten Opfern
der Madrider Bomben, durch das Bild des zerstörten Doppeldeckerbusses
in London. Aber nur, weil eine Bedrohung sichtbar ist, heißt das
nicht, dass es keine andere gibt. Sicher spielt auch eine Rolle, dass
wie überall zu wenig Personal zu viele Aufgaben übernimmt. Das aber
kann kein Grund sein, eine bekannte Gefahr zu ignorieren. Noch dazu
eine, deren Auswüchse wir als Deutsche besser kennen als alle
anderen: Rechtsextremismus. Es ist trotz aller richtiger
Entschuldigung unentschuldbar, wie die Bundesrepublik, die auf den
Trümmern des NS-Terrors entstand, ihre Wachsamkeit nach rechts je hat
aufgeben können. Die Vergangenheit können wir nicht mehr ändern. Es
geht jetzt darum, eine Zukunft zu entwerfen. Die Bundeskanzlerin hat
gestern dazu zwei einfache, wichtige Sätze gesagt: „Deutschland – das
sind wir alle. Wir alle, die in diesem Land leben“. Wir werden diesem
Anspruch bis heute nicht gerecht. Wäre dem so, hätte sich das Buch
von Thilo Sarrazin nicht so gut verkauft. Es wäre dann auch nicht
möglich, im Wahlkampf Stimmen zu sammeln, indem man von zu vielen
gewaltbereiten ausländischen Jugendlichen spricht, oder indem man
völlig unberechtigte Angst vor Zuwanderung in Sozialsysteme und
Arbeitsmärkte anspricht. Der Boden für rechtes Gedankengut findet
sich fast überall; diejenigen, die ihn mit Worten düngen, sollten
sich nach den Erfahrungen und Enthüllungen der vergangenen Wochen
genau überlegen, ob sie das wirklich weiterhin tun wollen. Die Taten
der Zwickauer Zelle, auch das hat Merkel gesagt, waren ein Anschlag
auf unser Land. Auch das ist richtig. Es ging darum, unsere
Gesellschaft zu zerstören, Hass, Angst und Schrecken zu verbreiten.
Das ist den Rechtsterroristen nicht gelungen. Der Abgrund rechts von
uns ist nicht verschwunden. Wir müssen nur aufpassen, ihn nicht
wieder aus den Augen zu verlieren.

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