Führende Aktienindizes verlieren binnen weniger
Handelstage ein Viertel ihres Wertes. Börsen- Schwergewichte,
milliardenschwere Indus-triekonzerne, schwanken mit Kursausschlägen
von zwanzig Prozent – am Tag. Es ist durchaus möglich, dass wir
gerade zu Zeitzeugen vom Anfang des finalen Finanzmarkt-Crashs
werden. Es könnte aber auch sein, dass wir ein zwar massives, aber
eben fingiertes Börsenbeben beobachten, an dem einige Marktteilnehmer
gut verdienen. Für Letzteres spricht, dass in der Wirtschaft alles
andere als Weltuntergangsstimmung herrscht: Das Wachstum ist real und
überwiegend robust. Weder liegt eine kreative Finanzierung
überteuerter Immobilien vor, noch versprühten toxische
Wertpapier-Konstrukte ihr Gift. Es gibt Risiken – die gibt es immer
-, aber nichts deutet auf eine akute Notlage hin. Hinzu kommen
weitere Indizien der Markttechnik, die darauf hindeuten, dass die
Aktienmärkte wohl eher unter gezielten Aufwärtshaken denn dem Beginn
des jüngsten Gerichts aufheulten. Nach einer monatelangen
Seitwärtsbewegung der maßgeblichen Indices begann der Kursverfall im
August, dem Handelsmonat mit den ferienbedingt geringsten
Marktteilnehmern. Die dann dünnen Umsätze eignen sich bestens, um
Bewegungen in eine Richtung durchzusetzen – vor allem nach unten.
Denn alle relevanten Marktteilnehmer – Experten sprechen von weit
über 90 Prozent des Handelsvolumens – sichern ihre Positionen über
automatische Verkaufsgebote gegen Verluste ab. Wer finanziell potent
genug ist, für einen gewissen Ausschlag nach unten zu sorgen, der
kann auch mit überschaubarem Risiko auf einen Dominoeffekt
spekulieren. Es wäre wohl zu weit gegriffen, von einer Verschwörung
mächtiger Marktteilnehmer zu sprechen. Hedgefonds, Ölländer, China
oder die bei derartigen Anlässen immer wieder gern genommenen
Illuminaten mussten zwar auch in den vergangenen Tagen wieder als
mutmaßliche Sündenböcke herhalten. Ob jemand und wenn ja wer die
Börsen gezielt in den Crashmodus brachte, wird ein Geheimnis bleiben.
Das Finanzsystem ist zu intransparent, um den Geldströmen zu folgen,
die Märkte in Panik versetzen. Sicher ist, dass es Titanen der
Vermögensverwaltung gibt, Herrscher über Fonds in dreistelliger
Milliardenstärke, die derartige Turbulenzen hervorrufen – und für
ihre Zwecke, sprich Gewinne nutzen können. Spekulanten, die ganze
Staaten durch Angriffe auf deren Anleihen an den Rand der
Zahlungsunfähigkeit drängen, können auch den Aktienmarkt einmal
ordentlich durchpusten – nicht nur, aber vor allem während der
Sommerflaute. Mit dieser Erkenntnis könnte man zur Tagesordnung
übergehen – es wird schon auch dieses Mal gut gehen. Wird es wohl
auch. Allerdings tritt jeder dieser schnellen, brutalen Angriffe auf
das Finanzwesen eine Kultur mit Füßen, die ohnehin immer weniger
Anhänger hat: die Geldanlagen- und Wertpapierkultur. Seit Jahren
nimmt nicht nur in Deutschland die Zahl der Anleger ab, die direkt
oder indirekt über Fonds vom Wachstum der Unternehmen profitieren
wollen. Dieser Rückgang muss Politik und Wirtschaft aufrütteln. Nicht
nur aus demografischen Gründen müssen alle Bevölkerungskreise ein
massives Interesse an einer stabilen Altersvorsorge auch auf
Wertpapierbasis haben. Auch die Akteure selbst täten gut daran, die
Finanzmärkte nicht als intransparentes Spielfeld erscheinen zu
lassen, bei denen wenige Akteure immer schneller und mit immer mehr
Geld die reale Wirtschaft unter Druck setzen können. Schließlich sind
es die Bürger der Länder, die diese Finanzmärkte legitimieren – und
im Zweifelsfall die Verluste sozialisieren. Ob von Finanzlobbyisten
oder vonseiten der Politik, eine Reaktion auf die Attacke blieb
seitdem aus. Kein Ruf nach mehr Transparenz, Regulierung oder
Manipulationsvorsorge, nirgends. Lediglich im Börsensender Bloomberg
schmunzelte ein Wertpapierhändler, dass von solchen Turbulenzen jeder
profitieren könne: „Einfach einmal volltanken, denn bei jedem Crash
fällt auch der Ölpreis…“
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