Mittelbayerische Zeitung: Die Linke rückt nach links

Von Reinhard Zweigler

Es klingt wie weißer Schimmel, also doppelt gemoppelt, eine
Tautologie: die Linke hat auf ihrem Göttinger Parteitag am Wochenende
einen kräftigen Linksruck hingelegt. Die Reformer um Fraktionsvize
Dietmar Bartsch, vornehmlich aus den Ost-Landesverbänden, haben
ziemlich klar und auf nahezu ganzer Linie gegen fundamental Linke,
vornehmlich aus dem Westen, verloren. Personell, aber auch politisch,
taktisch und strategisch. Kurios: Lafontaine hat in Göttingen
gewonnen, obwohl er gar nicht zur Wahl antrat. Aber er hat nun an
fast allen wichtigen Schaltstellen der Partei willige Gefährten. Er
ist nun erst recht die graue Eminenz der Linken. Dafür nahm er auch
den Bruch mit dem anderen Protagonisten der Linken Gregor Gysi in
Kauf. Die Übernahme der Links-Partei geschah auch nicht als Putsch,
sondern als unfreundliche Übernahme, als Überrumpelung. Die linke
ostdeutsche Volkspartei mit den heterogenen westdeutschen
Anhängsel-Verbänden wird künftig ideell von Saarbrücken aus geführt.
Die Lafontaine-Anhänger beherrschen die Linken-Zentrale im Berliner
Karl-Liebknecht-Haus. Allerdings kann zu viel Sieg auch bitter für
die Sieger werden. Die tiefe Krise der Linkspartei hat sich mit dem
kräftigen Linksruck weiter verschärft. Es gibt im Grunde zwei
Parteien unter einem Logo. Und die linken Reformer aus Ost und West
müssen sich nun fragen lassen, ob sie nicht viel zu blauäugig mit den
unfreundlichen, aber machtbewussten Genossen aus alten Bundesländern
umgegangen sind. Auf dem Vereinigungsparteitag aus WASG und PDS vor
fünf Jahren wurde den schwächeren Landesverbänden aus dem Westen ein
höheres Kontingent an Delegierten zugebilligt. Das hat sich in
Göttingen für die Reformer nicht ausgezahlt. Statt gelungener
Ost-West-Integration herrscht nun eine ziemlich tiefe Frustration.
Zumindest ist nun der seit Monaten wabernde Streit um das
Führungspersonal und um die Strategie, um Bartsch oder Lafontaine, um
Mitregieren oder pur Opponieren, klar zugunsten der Radikal-Linken
ausgegangen. Doch damit ist die Zukunft der antikapitalistischen
Links-Partei völlig ungewiss. Der weitere Absturz in die
Bedeutungslosigkeit ist möglich, auch ein „Überwintern“ der immer
noch erfolgreichen Ost-Landesverbände mit ihrer parlamentarischen
Verankerung. Erfolge bei Wahlen im Westen, ob in Niedersachsen,
Bayern oder Hessen und natürlich im Bund, sind äußerst fraglich.
Kurios ist, dass ein möglicher Wiederaufstieg dieser Linken sehr von
der SPD abhängt. Werden die Sozialdemokraten wieder zur
Regierungspartei, in einer großen Koalition oder stellen sie
vielleicht gar den Kanzler, hätte die Lafontaine-Linke wieder ein
klares Feindbild, hinter dem sich alle Strömungen, Ost und West
vereinen könnten. Zunächst jedoch wird Protest nicht mehr so sehr bei
der Linken abgeliefert, sondern bei den Piraten in Stimmen umgemünzt.
Die Linke erscheint nach Göttingen weiter zerstritten, mausgrau und
chaotisch. Auch wenn manche ihrer Analyse der gegenwärtigen
Finanzkrise offenbar den Kern trifft und Anklang weit über das Lager
der Linken findet.

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