Von Christian Kucznierz
Totgesagte leben länger, heißt ein altes Sprichwort. Im Besonderen
gilt es für die FDP. Was wurde den Liberalen vor der Wahl in
Niedersachsen nicht alles prophezeit? Drei oder gar zwei Prozent, im
günstigsten Fall nur eine Zitterpartie rund um die
Fünf-Prozent-Hürde. In jedem Fall aber werde Parteichef Philipp
Rösler gehen müssen. Und dann kommt alles anders. Erstens holt die
FDP fast zehn Prozent. Zweitens bleibt Rösler Parteichef, gibt aber
die Spitzenkandidatur an seinen Parteifeinde Rainer Brüderle ab –
nachdem es zuerst hieß, Rösler verzichte auf alle Posten. Ein
bisschen „Weiter so!“ und ein bisschen Neustart soll der FDP also
über die Runden helfen. Ob das funktioniert, steht in den Sternen.
Zumal nach diesem Wahlsonntag offen ist, ob man im Kanzleramt die
Liberalen überhaupt noch ernsthaft auf der Rechnung hat. Die FDP weiß
sehr wohl, dass sie eigentlich dem Tode näher war und ist, als die
fast zehn Prozent es vermuten lassen. Sie hat überlebt, weil sie eine
Blutspende in Form von Zweitstimmen der CDU-Wähler bekam. Die
Liberalen werden mit einer bangen Frage im Kopf durch die kommenden
Monate wandeln: Was genau war Niedersachsen jetzt eigentlich? Die
Auferstehung war das wohl kaum. Eher eine Form des Untot-Seins. Die
Spender des neuen Halblebens, die CDU-Wähler, die ihre Zweitstimme
der FDP gaben, weil sie wussten, dass nur so ihr Spitzenkandidat
David McAllister eine Chance haben könnte, werden ihre Entscheidung
spätestens in er Nacht bereut haben, weil er wie ein Aderlass wirkte.
Aderlässe haben in der Medizin bekanntlich ihren Platz verloren, weil
sie den Kranken unnötig schwächen, teils mit fatalen Konsequenzen.
Wer genau auf die Ergebnisse in Niedersachsen blickt, erkennt, wie
teuer die Zweitstimmen für die FDP die CDU zu stehen gekommen sind;
aber auch so war die Union lange nicht in einer Verfassung, in der
sie Bäume hätte ausreißen können. Die Frage, warum sie es einmal mehr
nicht geschafft hat, im städtischen Milieu zu punkten, dürfte die CDU
in diesem Wahljahr noch lange beschäftigen. Die SPD hat das
Krankenbett, in das sie die Umfragen verfrachtet hatten, verlassen;
aber nicht wegen, sondern trotz Peer Steinbrück, egal, wie die
Parteiführung es jetzt darstellt. Denn es ist klar, dass im Fall der
Wahlniederlage alle mit dem Finger auf den früheren Finanzminister
gezeigt hätten. Dass der sich am Sonntagabend für seine Patzer
entschuldigt hat, dürfte ihm für die kommenden Wochen helfen – sofern
er sich künftig überlegt, wann er was sagt. Sein Triumph und der
seiner Partei wären allerdings nicht möglich ohne die einzig wirklich
Lebendigen dieser Wahl, die Grünen. Ihr Zuwachs alleine ist so groß
wie der Verlust der CDU. Die Lehren dieser Wahl sind, dass sich
niemand mehr auf Zweitstimmenkampagnen verlassen darf; es wird sie
nach den Erfahrungen aus der Landtagswahl in Niedersachsen nicht mehr
geben. Auch Umfragen werden noch skeptischer beäugt werden, weil die
Wähler immer später ihre Entscheidung treffen – und am Ende von
schlechten Werten eher motiviert werden, ihr Kreuz bei den Siechenden
und Kränkelnden zu machen – wie man das jetzt bei der FDP erlebte.
Die Freidemokraten werden sich anstrengen müssen zu beweisen, dass
ihnen die Umgestaltung der Führungsebene dauerhaft neues Leben
einflößen kann – oder ob die FDP in ihrer heutigen Gestalt nicht doch
dauerhaft im Reich der Untoten verharrt, egal, wer sie leitet und in
den Bundestagswahlkampf führt. Die Partei hat nur noch wenig Zeit,
diesen Beweis anzutreten. Die CDU-Vorsitzende Angela Merkel wird sich
spätestens seit Sonntag genau überlegen, ob sie die Geister der
Vergangenheit nicht hinter sich lassen und sich nicht lieber unter
die Lebenden mischen sollte. Sonst wird auch sie eher früher als
später mit in das Reich der Schatten gerissen – Niedersachsen mahnt.
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