Es gibt Fragen, bei denen die
Entscheidungskategorien richtig und falsch nicht wirklich greifen –
bei denen je nach Blickwinkel völlig konträre Entscheidungen genauso
richtig wie falsch sein können. Die Frage, ob man die Bilder vom
toten Gaddafi zeigen darf, soll oder sogar muss, gehört dazu. In
vielen Zeitungen, auch jenseits der kreischenden Boulevards, sind die
Fotos des blutverschmierten erschossenen Diktators zu sehen, zum Teil
sogar auf den Titelseiten. Es gibt tatsächlich Gründe, die dafür
sprechen, sich so zu entscheiden. Das Ende des Despoten Muammar
al-Gaddafi ist ein Stück Zeitgeschichte, die Fotos sind
dementsprechende Dokumente der Zeitgeschichte. Wir haben uns dennoch
dafür entschieden, keines der Bilder abzudrucken. In der Abwägung
zwischen dokumentarischem Wert und verstörender Wirkung dieser
durchweg grausamen Bilder erscheint uns dies als die bessere Lösung.
Nicht unberücksichtigt bleiben können und dürfen dabei die Umstände
des Todes von Muammar al-Gaddafi. Nach all dem, was Augenzeugen und
Agenturen in den vergangenen Tagen berichtet haben, wurden Gaddafi,
mindestens einer seiner Söhne und mehrere frühere Minister
schlichtweg gelyncht. Selbst wenn man für die Wut und den Hass der
Libyer auf ihren gnadenlosen Unterdrücker und seine Helfer durchaus
Verständnis aufbringen, sich am Glück über das definitive Ende der
Diktatur erfreuen kann: Es muss auch die Frage erlaubt sein, ob diese
blutige Abrechnung der beste Start für das neue Libyen ist. Ob es
nicht stattdessen ein richtiges und wichtiges Zeichen an die Welt
gewesen wäre, Gaddafi vor Gericht zu stellen. All diese Aspekte
spielten bei der Entscheidung über den Abdruck der blutigen Bilder
eine Rolle. Trotzdem steht auch die zeitgeschichtliche Bedeutung der
Ereignisse und ihrer Dokumentation außer Frage. Um dem gerecht zu
werden, haben wir uns entschieden, Bildmaterial aus Libyen in unserem
digitalen Angebot zu verwenden. Dies geschieht allerdings so, dass
auf www.mittelbayerische.de die bewusste Entscheidung des Nutzers per
Klick erforderlich ist. Die Fotos sind nicht schon auf der obersten
Ebene beim Aufruf der Webseite zu sehen – eine Möglichkeit, die in
der gedruckten Zeitung nicht zur Verfügung steht. Es ist der Versuch,
der Bedeutung dieser nicht nur für die arabische Welt historischen
Tage gerecht zu werden – ohne der Macht, der Gewalt der Bilder zum
Opfer zu fallen.
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