Mittelbayerische Zeitung: Kommentar von Thomas Spang zum Prozessauftakt gegen Boston-Attentäter

Schuldig oder nicht – die Schlüsselfrage der
meisten Mordprozesse spielt beim Verfahren vor dem Bundesgericht in
Boston gegen Dzhokhar Zarnajew nur eine Nebenrolle. Dafür ist die
Last der Beweise gegen den überlebenden der beiden mutmaßlichen
Marathon-Attentäter zu erdrückend. Star-Verteidigerin Clarke
konzentriert sich deshalb darauf, das Leben ihres Mandanten zu
retten. Dem Prozessauftakt mit der Auswahl der Geschworenen kommt
deshalb eine ganz besondere Bedeutung zu. Zumal es in diesem Fall an
die Quadratur des Kreises grenzt, im Großraum Boston jemanden zu
finden, der unbefangen über den schlimmsten Terroranschlag seit dem
11. September 2001 urteilen kann. Das Bundesgericht in Boston sah
wegen der medialen Omnipräsenz der Eriegnisse keinen Anlass das
Verfahren zu verlegen. Es versucht das Problem der Befangenheit mit
der Einbestellung von 1200 Kandidaten für die zwölf Geschworenen-Jobs
zu umschiffen. Wohl wahr, dass die blutige Endlosschleife im
Fernsehen die Nation insgesamt traumatisiert hat. Fairer wäre es
dennoch gewesen, das Verfahren an einen entfernten Ort zu verlegen,
dessen Bürger mehr emotionale Distanz zu den Ereignissen vor knapp
zwei Jahren haben. Hier zeigt sich eine Schwäche des
Geschworenen-Systems, das bei spektakulären Anschlägen wie diesem zum
Problem wird. Anlass Krokodilstränen über den Angeklagten zu
vergießen, gibt es dennoch nicht. Zarnajew hat sich selbst
zuzuschreiben, dass er heute vor Gericht um sein Leben kämpfen muss.

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