Mittelbayerische Zeitung: Kommentar zu Steinmeier

von Reinhard Zweigler, MZ

Die Gewinne anderer würden oft wie eigener Verlust empfunden,
meinte einst Wilhelm Busch. Der vor über 100 Jahren gestorbene
humorvolle Zeichner und Dichter konnte die jetzige Konstellation um
die Kandidatensuche für den nächsten Bundespräsidenten natürlich
nicht ahnen. Doch sein Bonmot trifft die Lage ziemlich genau.
Gabriels Coup mit der Nominierung von Frank-Walter Steinmeier zum
Gauck-Nachfolger ist gleich eine doppelte Niederlage für die
Kanzlerin. Erstens hatte Angela Merkel keine Kandidatin, keinen
Kandidaten aus dem CDU-Revier anzubieten, die oder der auch nur
annähernd das Gewicht des beliebten Außenministers gehabt hätte. Und
zweitens konnte sie ihren Lieblings-Grünen Winfried Kretschmann nicht
gegen den mosernden bayerischen Löwen Seehofer durchsetzen. Sollte
Merkel wiederum die Unions-Kanzlerkandidatur übernehmen, wovon
auszugehen ist, geht die CDU-Chefin angeschlagen ins Rennen. Sigmar
Gabriel, dem in den vergangenen Jahren als Parteichef und als
Wirtschaftsminister nicht all zu viel gelungen ist, kann endlich
einmal gegen die Dauerkanzlerin Angela Merkel einen Punkt machen. Die
frühe Nennung des Namens Steinmeier erwies sich im Nachhinein als
kluger Schachzug. Damit baute er Druck gegen die Union auf, die
derzeit ziemlich uneins ist. Noch dazu hätte der Chefdiplomat
Steinmeier, der weit über die SPD-Grenzen hinaus Respekt genießt,
auch in einer Kampfabstimmung eines dritten Wahlganges in der
Bundesversammlung große Chancen gehabt. Ein Unions-Kandidat wäre dann
vermutlich durchgefallen. Zumindest dies verhinderte Merkel nun, die
Steinmeier plötzlich als „Kandidaten der Vernunft“ preist. Dabei
hatte sie den SPD-Minister noch bis vor kurzem jede Unterstützung
verweigert. Das war ziemlich unvernünftig von Merkel. Die Kanzlerin
steht nun, zumindest in der Präsidentenfrage, als Verliererin da.
Dass es gleichwohl vernünftig ist, in den jetzigen stürmischen Zeiten
einen erfahrenen und weltläufigen Politiker zum Staatsoberhaupt zu
machen, ist dennoch richtig. Dem reichlich amtsmüden einstigen
DDR-Bürgerrechtler Joachim Gauck folgt damit bald ein Mann nach, der
den Politikbetrieb aus dem Effeff kennt. Das ist zwar eine gute
Voraussetzung für das Schloss Bellevue. Zugleich aber muss Steinmeier
erst noch nachweisen, dass er sich vom Politikgeschäft emanzipieren
kann. Gauck dagegen ist, wie auch schon Vorgänger vor ihm, ein
Bürgerpräsident. Dabei hat der einstige Chef der
Stasi-Unterlagenbehörde weniger den Regierenden die Leviten gelesen,
wie dies etwa Richard von Weizsäcker getan hat, sondern mehr das
Hohelied der Freiheit gesungen. Der kantige Gauck wollte nie den
Beifall von allen Seiten. In der Flüchtlingsfrage hat er sich
einerseits zur Aufnahme von Verfolgten und deren Integration
eingesetzt, gleichzeitig aber auch vor einer Überforderung der
Bevölkerung gewarnt. Neben Beifall erlebte der Amtsinhaber auch
wütende Proteste gegen sich. Gemeint war offenbar vor allem die
Politik „der da oben“, wozu man auch ihn zählt. Der „Glücksfall“
Gauck als Bundespräsident wird sich nicht wiederholen lassen. Nun
wird ein gestandener „Parteisoldat“ das protokollarisch höchste Amt
im Staat bekleiden. Die Personalie Steinmeier mag für die Union kein
Ruhmesblatt und speziell für Merkel sogar ein Dämpfer sein, für das
ganze Land betrachtet, bedeutet sie jedoch Stabilität und
Kontinuität. Das zählt jetzt.

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