von Ulrich Heyden, MZ
Die Ukraine steht vor einer Zeit politischer Wirren. Denn keine
der beteiligten politischen Kräfte hat ein Konzept, das das Land aus
seiner Zerrissenheit führen kann. Die ukrainische Regierung agiert so
kopf- und hilflos, dass ihr auch die eigenen Anhänger wegzubrechen
drohen. Es begann mit der dem EU-Assoziationsvertrag. Erst warb die
Regierung dafür, allerdings ohne die Bevölkerung über den Inhalt zu
informieren, dann wurde er in letzter Minute auf Eis gelegt. Die
Entscheidung der Regierung, während der großen pro-EU-Protestwelle
das Versammlungsrecht zu verschärfen, war zudem Öl im Feuer der
Proteste. Die Schwäche der ukrainischen Regierung nutzen jetzt
andere. Russland erwartet Gegenleistungen für seinen 15 Milliarden
Dollar-Kredit. Aus der EU gibt es viel Unterstützung für die
Protestbewegung. Und in der Protestbewegung selber geben die
Radikalen den Takt vor. Mit ihren Besetzungs-Aktionen erzielen sie
einen Erfolg nach dem anderen. Die Energie der Demonstranten, die
innerhalb von Stunden eine Barrikade von drei Meter Höhe aufbauen
können, übersteigt die Energie der Polizei, die keine sichtbaren
Erfolge vorzeigen kann. In der West- und in der Zentralukraine wurden
bereits zehn Gebietsverwaltungen besetzt. Dass angesichts dieser
zerfahrenen Situation viele Menschen Angst vor einem Bürgerkrieg
haben, ist nachvollziehbar. Allerdings wirkt die angespannte soziale
Lage eher disziplinierend auf die Mehrheit der Bevölkerung. Keiner
der zahlreichen Aufrufe von Vitali Klitschko zum ukrainischen
Generalstreik wurde bisher befolgt, sieht man von öffentlichen
Einrichtungen in der Westukraine ab, wo die „Streiks“ von der
örtlichen Verwaltung unterstützt wurden. Viel wird jetzt davon
abhängen, ob die Oligarchen, die hinter Janukowitsch stehen, den
Präsidenten zum Rücktritt drängen oder ob sie sich mit der
politischen Elite des Landes – eingeschlossen die Führer der
Opposition – auf eine Koalitionsregierung einigen. Die Opposition
selbst ist zurzeit nicht in der Lage, das Land zu regieren, da sie
die Befindlichkeiten der mehrheitlich russischsprachigen Menschen in
der Ostukraine zu wenig im Blick hat.
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