Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel zu Griechenland-Wahl/Euro von Stefan Stark

Was für eine Dramaturgie: Die
Schicksalsgöttinnen der Antike hätten das Drehbuch für die Fußball-EM
nicht spannender schreiben können. Im Viertelfinale heißt es
Deutschland gegen Griechenland. Aus sportlicher Sicht könnte man
sagen, freuen wir uns auf eine Partie, die ihren Reiz aus dem Duell
Fußball-David-gegen-Goliath bezieht. Aus psychologischer Sicht aber
wird aus dem Freitagskrimi ein Treffen von ungeheurer Symbolkraft.
„Schickt Deutschland aus der EURO“ und „Bringt uns Merkel“, titelten
griechische Zeitungen. Ein Fußballspiel wird in der hellenischen
Öffentlichkeit hochstilisiert zur Abrechnung mit dem verhassten
Oberlehrer, der den Schüler nur maßregelt und gängelt. Die
Rache-auf-dem-Rasen-Schlagzeilen der Athener Sportpresse mögen ebenso
verkaufsfördernd wie polarisierend wirken – sie zeigen jedoch
durchaus, wie sehr die griechische Psyche in der Schuldenkrise unter
den als Diktat empfundenen Sparvorgaben der Nordländer leidet. Die
Politik darf dies nicht als Petitesse abtun, nicht als Quengelei
eines schwierigen Schülers, der seine Hausaufgaben nur widerwillig
erledigt. Denn solche Zeilen bilden ab, wie sehr es inzwischen
brodelt. Eigentlich müssen sich die Griechen fühlen wie ein
Ertrinkender, dem man die eine Hand hinhält, um ihn aus dem Wasser zu
ziehen. Und mit der anderen Hand drückt man ihm dann die Gurgel zu.
Aus dieser Sichtweise betrachtet hätte ein Erdrutschsieg der
radikalen Linken am Sonntag nicht überrascht. Die Griechen hatten die
Wahl zwischen schlecht und schlimm. Hätten sie dem Populisten Alexis
Tsipras zu einer Mehrheit verholfen, wäre das ein Votum für eine
Rückkehr zur Drachme und eine völlige Isolation innerhalb der EU
gewesen – mit unabsehbaren Folgen für das Land. Diese Angst bescherte
dem Konservativen Antonis Samaras die knappe Mehrheit. Damit kommt
nun voraussichtlich ein Politiker an die Macht, der wie kaum ein
anderer im Land für das verkrustete und korrupte alte Griechenland
steht, für Ineffizienz, Selbstbedienung und Beratungsresistenz. Es
sei daran erinnert, dass Kanzlerin Angela Merkel Samaras gewaltig
unter Druck setzen musste, ehe er den EU-Sparvorgaben zustimmte. Das
Wahlergebnis hat es aus weiteren Gründen in sich: Die Bildung einer
stabilen Mehrheit wird sich nach der Verweigerung von Tsipras, eine
Koalition der Nationalen Einheit einzugehen, noch schwieriger
gestalten. Die radikale Linke spekuliert darauf, dass sich eine
künftige Samaras-Regierung bald selbst zerlegt und Tsipras sich dann
als großer Retter inszenieren kann. Das Positive an dem Wahlergebnis
ist, dass Athen nun wenigstens eine demokratisch legitimierte
Regierung bekommt – auch wenn sie wackelnd und wankelmütig an den
Start geht. Doch an den Problemen in Griechenland ändert sich ebenso
wenig wie an der Ausgangssituation für die Euro-Retter. Die
Geberländer, allen voran Deutschland, dürfen ihre bisherige Strategie
nicht über Bord werfen. Es muss auch künftig gelten: Hilfe ja, aber
nur, wenn Athen die Reformversprechen erfüllt. Ansonsten käme das
Land nie aus dem Tief und viel schlimmer noch: Andere Schuldensünder
könnten sich ermutigt fühlen, auch so weiterzumachen wie bisher.
Sollte sich Samaras also als Trickser und Täuscher erweisen, muss die
EU den Griechen die Rote Karte zeigen. Beim EURO-Viertelfinale am
Freitag zählt nur das Resultat. Bei der Euro-Rettung ist jedoch auch
entscheidend, auf welche Art und Weise man zu einem Ergebnis kommt.
Ein kleines Entgegenkommen beim Lehrmeister Deutschland – so wie es
Außenminister Guido Westerwelle andeutete – könnte Griechenland eine
goldene Brücke bauen, auf die das Volk dort wartet. Ein zeitlicher
Aufschub für die Erneuerung des Landes würde den Menschen wieder Luft
zum Atmen lassen, und ein wirtschaftliches Wiederaufbauprogramm eine
Perspektive bieten. Das wären Grundvoraussetzungen für einen
Befreiungsschlag. Denn ohne Unterstützung des Volks werden sich
Reformen kaum durchsetzen lassen. Im Gegensatz zum Fußball zeichnet
sich Klugheit in der Außenpolitik dadurch aus, den anderen nicht als
Verlierer dastehen zu lassen.

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