Wir Bayern sprechen ja quasi qua Geburt
fließend Latein. Diese seltene Gabe verdanken wir einem leider viel
zu früh verstorbenen Ministerpräsidenten, dem wahren „Praeceptor
Bavariae“, dem „Schöpfer des modernen Bayerns“ (Horst Seehofer) und –
natürlich – „größten Sohn der CSU“ (Markus Söder). Franz Josef Strauß
nämlich würzte mit Vorliebe seine scharfen Sentenzen mit einer Prise
humanistischer Bildung. Den jederzeit wohlfeilen Rat „Si tacuisses,
philosophus mansisses“ (Wenn du geschwiegen hättest, wärst du ein
Philosoph geblieben) beherzigte er freilich ungern selbst, sondern
brachte ihn nur gegen die politische Konkurrenz in Anschlag. FJS
selig hätte mithin seine Freude daran, wenn wir an dieser Stelle
Alkaios von Lesbos zitieren, einen der wichtigsten Vertreter der
äolisch-lyrischen Poesie. „In vino veritas“: Ja, im Wein liegt
bekanntlich die Wahrheit. Von Lesbos nach Berching ist es gedanklich
nur ein kleiner Sprung. Beim dortigen Rossmarkt wurde am Mittwoch
jene urbayerische Traditionsreihe eingeläutet, die Anfang März im
politischen Aschermittwoch und alsdann im Derblecken auf dem Münchner
Nockherberg gipfelt. Dem Lokalkolorit – also sozusagen dem Genius
Loci – ist es geschuldet, dass am Rande der Veranstaltungen Bier und
nicht Wein die Zunge lockert und den Zuhörern rauschhafte Eindrücke
beschert. Reiner Wein wird einem in der Politik ohnehin eher selten
eingeschenkt, aber das nur nebenbei. Horst Seehofer, der Erbe des
Schöpfers und zweifellos zweitgrößte Sohn der CSU, führte in der
Oberpfalz das große Wort. Dass „Cicero“, das angebliche „Magazin für
politische Kultur“, vom fernen Berlin aus solche Ereignisse schon mal
als „Feiertage des Wutbürgers“ geißelt, muss uns in unseren Breiten
nicht weiter interessieren. Rekapitulieren wir hier lieber unter rein
sportlichen Gesichtspunkten, was der Ministerpräsident als Zugpferd
in Berching losgetreten hat. Sicherlich handelt es sich um einen
Frühstart ins Wahlkampfjahr. Doch Seehofer stellte mit seinem fünften
Auftritt beim Rossmarkt gleich eine straußsche Bestmarke ein, die er
gar bei nächstbester Gelegenheit zu übertrumpfen gedenkt. Für seinen
ausgeprägten Wettkampfgeist spricht zudem, dass er zuletzt stets in
Jahren von Bundestagswahlen in Berching auftauchte, das als Stadt im
Freistaat stolzer Teil der „Vorstufe zum Paradies“ (Seehofer) ist.
Der Flecken Kleve liegt dagegen am Niederrhein, fast schon
beziehungsweise so gut wie in Holland. Und dort wiederum stammt die
SPD-Bundesumweltministerin Barbara Hendricks her, der Seehofer wegen
ihrer hanebüchenen Bauernregel-Kampagne mit Recht verbal einen
rechten Schwinger verpasste. Denn eine eiserne Bayern-Regel besagt:
Leg dich besser nicht mit den Landwirten an. Dass es Horst Seehofer
in Berching mit diesem K.o.-Schlag gegen die politische Konkurrenz
mehr oder weniger bewenden ließ, zeigt indes, dass die Stunde der
Haudraufs erst in drei Wochen schlägt, wenn die Arenen in Passau oder
Vilshofen stehen. Berching war da bloßes Vorspiel, ein Präludium.
Warmlaufen für den Aschermittwoch – inmitten schnaubender Rösser in
der Oberpfälzer Winterkälte. Im Jahr der Bundestags- und ein gutes
Jahr vor der Bayernwahl verheißen die kommenden Kundgebungen in einer
ohnehin aufgeheizten politischen Atmosphäre im Land viel Zündstoff.
Eines neuen US-Präsidenten hätte es dafür gar nicht mehr bedurft. Für
die CSU gilt derweil, was auf dem Stadtwappen von Paris steht:
Fluctuat nec mergitur. Sie schwankt, aber sie geht nicht unter.
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