Nach außen wird eisern Fassung bewahrt. Doch
der Schulz-Effekt wirkt, auch in der Union. CDU und CSU, im Streit um
Flüchtlings-Obergrenzen soeben noch heftig ineinander verkeilt, sind
nun zum Zusammenhalt verdammt. Ob der heilsame Schock früh genug kam,
um vor der Bundestagswahl die Kurve zu bekommen, muss allerdings
stark bezweifelt werden. In Umfragen steckt die Union in einer
Abwärtsspirale. Der demonstrative Friedensschluss nach erbittertem
Dauerstreit gebiert ein massives Glaubwürdigkeitsproblem. Die
Attacken von CSU-Chef Horst Seehofer auf die Kanzlerin waren zu
überzeugend und echt, als dass ihm die neue Sanftmut abgenommen wird.
Spätestens in der heißen Phase des Wahlkampfes wird es wieder
knirschen und krachen, etwa wenn Seehofer und Merkel bei gemeinsamen
Auftritten die Konflikte in der Asylpolitik übertünchen müssen. In
der Union herrscht angesichts des Höhenflugs von SPD-Kanzlerkandidat
Martin Schulz hohe Nervosität. Dass die Werte der SPD nach oben
schnellen, ist dabei nur ein Teil des Problems. Noch alarmierender
muss sein, dass Schulz auch im persönlichen Vergleich mit Merkel
vorne liegt. Hinter der Stärke des SPD-Mannes verbirgt sich die
Schwäche der Kanzlerin. Die Sympathiewerte Merkels sind in Zeiten der
Flüchtlingskrise in Teilen der Bevölkerung erodiert. Seehofer hatte
die Kanzlerin davor immer vergeblich gewarnt, mit seinen eigenen
Angriffen auf die CDU-Chefin die Entwicklung allerdings auch selbst
kräftig verstärkt. Die Geister, die er rief, holt er nun schwer
wieder zurück. Die Unions-Spitzen mögen offiziell gemeinsam
marschieren, die merkelkritischen Teile der Basis folgen diesem
Beispiel deshalb noch lange nicht. Vielmehr sind sie jetzt ebenso von
Seehofer bitter enttäuscht. Sein (vorläufiger) Rückzug aus dem
Gefechtsstand hat ihm in sozialen Netzwerken einen Shitstorm
beschert, der sich gewaschen hat. Daran ändert auch nichts, dass
Seehofer an der Obergrenze von 200 000 Flüchtlingen pro Jahr festhält
– und einen weiteren Verbleib der CSU in einer Bundesregierung nach
der Bundestagswahl davon abhängig macht. Wie sollte es die
Merkel-Skeptiker im konservativen Wählerklientel zufriedenstellen,
wenn die CSU im Zweifel lieber auf die einflusslose Oppositionsbank
wechselt, so sie die Drohung überhaupt wahr macht? Die Wirkung auf
die Asylpolitik wäre gleich Null. Hinter dem Streit um Obergrenzen
steckt allerdings ein ernstzunehmender Kern: Die CSU pocht im Grunde
auf einen Plan B für den Fall, dass die Zahl der Flüchtlinge wieder
massiv steigen sollte. Sie will sich nicht mit dem Bekenntnis Merkels
abspeisen lassen, dass sich eine Situation wie im Jahr 2015 nicht
wiederholen wird. Das Versprechen soll mit tragfähigen Konzepten
unterfüttert werden. Ein berechtigter Wunsch. Wie bei der Pkw-Maut im
Bundestagswahlkampf 2013 hat Seehofer die Hürden für einen Kompromiss
allerdings inzwischen so enorm hochgelegt, dass ihm wie Merkel bei
einem Einknicken ein Gesichtsverlust droht. Der Wunsch, Recht zu
behalten, bekommt dabei zu großes Gewicht. Die Union hat keine Zeit,
sich damit aufzuhalten. Die SPD nimmt schon den nächsten Punktsieg in
den Blick. Mit Frank-Walter Steinmeier wird in Kürze ein
sozialdemokratischer Sympathieträger zum Bundespräsidenten gekürt.
Die Union kann sich schon Mal auf dauerhaft gute Umfragewerte für die
SPD einstellen.
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